Zukunftschancen

Lehre als Fundament der Chancen - mit Mario Derntl

Episode Summary

Mario Derntl ist ehemaliger Lehrling und heute Geschäftsführer der Initiative zukunft.lehre.österreich. Der 30-Jährige möchte mit seinem Team die Lehre wieder zur attraktivsten Ausbildungsform Österreichs machen. Durch das Gespräch führt Marina Herzmayer. Dieser Podcast wird präsentiert vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft.

Episode Notes

Mario Derntl ist ehemaliger Lehrling und heute Geschäftsführer der Initiative zukunft.lehre.österreich. Der 30-Jährige möchte mit seinem Team die Lehre wieder zur attraktivsten Ausbildungsform Österreichs machen. Durch das Gespräch führt Marina Herzmayer.
Dieser Podcast wird präsentiert vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft.

Episode Transcription

[Intro-Musik]

 

Marina Herzmayer:    Mein heutiger Gast ist ehemaliger Lehrling und heute Geschäftsführer der Initiative zukunft.lehre.österreich. Mario Derntl ist 30 Jahre alt und mit seinem Team möchte er die Lehre wieder zur attraktivsten Ausbildung Österreichs machen.

                                   Mein Name ist Marina Herzmayer und ich führe heute durch dieses Gespräch.

 

[Musik]

 

Marina Herzmayer:    Hallo Mario! Schön, dass du dir Zeit genommen hast für uns. Danke, dass wir zu dir kommen dürfen.

 

Mario Derntl:              Danke für die Einladung, Marina. Ich freue mich, danke.

 

Marina Herzmayer:    Du hast uns ja heute hier nach Linz in die Johannes Kepler Universität eingeladen. Warum genau dieser Ort? Hat der für dich eine besondere Bedeutung? Hast du eine Verbindung damit?

 

Mario Derntl:              Ja, wir sind ja quasi aus dem Raum Oberösterreich entstanden und so auch ganz bewusst. Wir sind so als Initiative ganz österreichweit tätig, aber Oberösterreich ist ja mitunter doch auch dafür bekannt, dass eine gewisse Industriedichte herrscht und auch ein bisschen selbstbewusst traue ich mich zu sagen, dass da ganz großartige Ausbildungsunternehmen sind. Deshalb haben wir, obwohl ich selber jetzt eigentlich doch recht viel nach Wien pendle und viel unterwegs bin, eigentlich immer gesagt, nein, wir lassen unseren Vereinssitz in Linz. Wir sind super happy mit Wien und auch sehr gerne in Wien, aber irgendwo … unser Herz kommt da her und deshalb glaube ich, passt das auch weiterhin sehr gut.

 

Marina Herzmayer:    Wenn das Herz da ist, arbeitet es sich einfach leichter da. Sehr schön. Mario, du bist ja Geschäftsführer der Lehrlingsinitiative zukunft.lehre.österreich. Erkläre einmal ganz kurz: Was macht ihr? Was ist so euer Bestreben?

 

Mario Derntl:              Wir sind vor fast fünf Jahren mittlerweile – viereinhalb sind es – sind wir gegründet wurden von einigen wirtschaftstreibenden Unternehmen, die einfach alle gemeinsam nämlich denselben need hatten. Sie haben nämlich gesagt, wir bilden unglaublich gerne Lehrlinge aus, aber es wird zunehmend eine Challenge und in diesem ganzen Kontext reden eigentlich seit 20, 30, 40 Jahren die Menschen davon, dass es doch super wäre, das Image der Lehre aufzuwerten und da etwas zu tun. Nur irgendwie ist ihnen damals zu wenig passiert. Und dann war der gemeinsame Nenner, dass man gesagt hat, jetzt bündeln wir doch die Kräfte und gründen gemeinsam einen Verein/eine Initiative, die genau dieses Herzensanliegen, nämlich die nachhaltige Imageaufwertung der Lehre, verfolgt. Also das war so ein bisschen die Idee dahinter und ja, jetzt gibt es uns schon seit fünf Jahren fast; mittlerweile auch schön gewachsen. Also wir vertreten so ungefähr 13.000 bis 14.000 Lehrlinge aus ungefähr 250 Unternehmen. Knapp 250; genau. Und wir dürfen da unseren Beitrag leisten um genau diesen Schritt, nämlich der Imageaufwertung der Lehre, die ja leider Gottes auch nicht von heute auf morgen geht, einen kleinen Schritt näher zu kommen.

 

Marina Herzmayer:    Jetzt war diese Challenge, von der du gesprochen hast, ja nicht nur, dass es einfach schwierig ist, Lehrlinge zu bekommen. Es ist allgemein auch die Zahl sehr zurückgegangen. Wie war das denn damals und hat sich das bis dato jetzt schon ein bisschen verbessert?

 

Mario Derntl:              Ja, da hast du vollkommen recht. Wir hatten, um den Höchststand hier in den Raum zu werfen, 1980 fast 200.000 junge Menschen in einer Lehrlingsausbildung, 195.000 bis 196.000 waren es. Und haben aktuell ungefähr 100.000. Das heißt, da haben wir schon einen gewissen Gap, den können wir nicht wegleugnen. Jetzt muss man zwar fairerweise dazusagen, dass es natürlich auch ein bisschen der Demografie geschuldet ist, dass es generell immer weniger junge Menschen gibt. Das wirkt sich dann natürlich auch auf die Lehrlingszahlen aus, das ist ganz klar. Allerdings, und das ist auch die große Challenge, der Anteil an Lehrlingen ist überproportional weniger geworden. Das heißt, irgendwo hapert es ja dann doch im System. Anders können wir das halt einfach auch nicht erklären. Wir glauben allerdings, und das zeigen uns auch die Zahlen, dass schon jetzt ein gewisser Gegentrend erkennbar ist. Jetzt gibt es natürlich eine kleine Covid-Delle, aber die hat sich ja schon wieder quasi aufgelöst, Gott sei Dank auch. Und wir merken schon zunehmend, sowohl bei Eltern als auch bei jungen Menschen, die auch erkennen: Wenn ich heute eine Lehrlingsausbildung mache, dann ist das etwas anderes wie vielleicht meine Mutter, mein Großvater noch im Kopf hat, der irgendwie so das Bild von einer Ausbildung hat, wo du quasi keine Aufstiegsmöglichkeiten hast und wo du finanziell und gehaltstechnisch relativ schnell einen Deckel hast. Das entspricht alles nicht mehr der Wirklichkeit. Und da sind wir schon der Meinung, dass sich etwas tut und wir uns in die richtige Richtung bewegen, auch wenn das natürlich ein längerer Weg ist. Aber auch hier ist ja der Weg das Ziel, wenn wir uns ehrlich sind.

 

Marina Herzmayer:    Es tut sich auf jeden Fall etwas. Wie du gesagt hast, von Oberösterreich ausgehend, von Oberösterreich startend kommen jetzt Stück für Stück alle Regionen und alle Bundesländer in Österreich auch dazu. Ist das notwendig weil es regionale Unterschiede gibt oder warum ist es einfach so wichtig, dass man in gesamt Österreich mäßig aber auch quasi in den einzelnen Bundesländern dieses Thema behandelt?

 

Mario Derntl:              Super spannende Frage. Und ja, das habe ich nämlich zu Beginn selbst gar nicht in dem Ausmaß geglaubt, aber das ist wirklich ein Länderspezifikum. Ich nehme zwei Extreme her, um das Ganze auch aufzuzeigen: Wenn ich an Vorarlberg denke … dort haben wir eine Quote von über 50 Prozent an 15-Jährigen, die eine Lehre machen. Das heißt, dort ist es mehr als jeder zweite. Und dann nehme ich Wien her … da sind wir mittlerweile bei unter 30 Prozent. Wo es quasi nicht einmal mehr drei von zehn sind, die sich für eine Lehre entscheiden. Das heißt, da haben wir ganz massive Unterschiede. Oder wenn ich jetzt mir anschaue in Oberösterreich habe ich quasi, natürlich auch ein bisschen der Betriebs- und Industriedichte geschuldet, aber da habe ich 3,2 offene Lehrstellen pro Bewerber. Das heißt, da gibt es wirklich gerade einen richtig großen Pool an Möglichkeiten, aus denen ein junger Mensch schöpfen kann. Und in Wien ist es umgekehrt. Da kämpfen zehn Jugendliche für eine Lehrstelle. Also da gibt es echt totale Spezifika. Und obwohl wir quasi als Gesamtverein österreichweit tätig sind, haben wir auch aufgrund des positiven Wachstums vor eineinhalb Jahren beschlossen, sukzessive auch in den Bundesländern eigene Einheiten aufzubauen, um genau das von dir Länderspezifische noch besser a) erkennen zu können und b) natürlich auch unterstützen und betreuen zu können.

 

Marina Herzmayer:    Du hast es schon angesprochen … sehr viele Unternehmen, die euch da unterstützen. Wer sind da auf Wirtschaftsebene da eure Partner? Ich habe schon gesehen auf der Homepage sieht man einiges. Aber wie baut man das auf? Wie seid ihr zu denen gekommen?

 

Mario Derntl:              Wir sind ja als Verein gegründet, der – das sind eigentlich auch die drei Punkte, die mir sehr wichtig sind – wir sind a) gemeinnützig. Das heißt, wir verfolgen ein gemeinnütziges Ziel als Verein. Wir sind b) branchenübergreifend und auch politisch unabhängig. Das heißt, da gibt es keinen Geldgeber oder sonst irgendjemanden, sondern wir sind als Initiative so gegründet, dass wir den Betrieben Support anbieten. Nämlich nicht nur für die Kernidee quasi „Wir wollen das Image der Lehre aufwerten“, sondern auch operativ durch viele, viele Dinge, die wir mit den Lehrlingen selber oder den Ausbildern machen. Und so sind wir natürlich sukzessive gewachsen und freuen uns, dass mittlerweile eigentlich auch sehr branchenübergreifend sowohl die Top-Industrie, wie eine Siemens oder eine KTM dabei ist, große Unternehmen wie eine A1, Versicherungen, Banken, bis hin – und das macht es ganz cool –zum kleinen Zimmerer und Bäckerbetrieb. Oder zum Beispiel vor drei Wochen, oder vor zwei Wochen war es, als wir unsere Niederösterreich-Ländergruppe aus der Taufe gehoben haben, da war ein Rauchfangkehrer mit dabei, der von Beginn an bei uns engagiert ist. Der damals einfach gesagt hat, das ist eine super Idee. Der bildet jedes Jahr einen Rauchfangkehrer-Lehrling aus und macht das wirklich ganz, ganz innovativ und lässig. Und wie gesagt, na bitte, dann gibt es ja da extrem viel an Schnittmenge. Der hat natürlich andere Challenges, wie eine A1, aber dennoch kämpfen alle für dasselbe Ziel: nämlich junge Menschen wieder für den Lehrberuf zu begeistern und das macht eine große Freude.

 

Marina Herzmayer:    Jetzt seid ihr in Österreich engagiert, sehr engagiert und seht auch quasi diese Thematik. Wie ist das sonst in anderen Ländern? Ist das allgemein so eine Entwicklung? Oder wie sieht der Stellenwert der Lehr in der Welt aus? Hast du da einen Einblick?

 

Mario Derntl:              Ja, das ist wirklich eine gute Frage. Weil ja die Lehre, dieses Modell der dualen Ausbildung wie es wir haben, wo du quasi einerseits ja den Betrieb hast, in dem du 9 to 5 oder however dann normal arbeitest und ja parallel quasi in der Berufsschule Theorie zu deinem Beruf lernst … Das ist ja eigentlich ein bisschen ein Dachunikum. In der Form wie wir Lehrlingsausbildung verstehen, gibt es das eigentlich nur mehr in der Schweiz und in Deutschland. Muss man auch ganz offen sagen, hier sind die Schweizer auch bei unseren Überlegungen, Initiativen oft ein bisschen die Benchmarker. Also wir orientieren uns hier sehr stark an der Schweiz, die extrem hohe Quoten an Lehrlingen haben. Wo Lehrlinge die CEO’s der top Unternehmen dort sind, also ehemalige Lehrlinge. Also wo wir ein bisschen eine andere Durchlässigkeit auch schon haben. Und das ist für uns ein bisschen … Also da macht es auch für uns sehr viel Sinn uns dort natürlich auch gute Dinge abzusehen. Und dann kommt es natürlich darauf an: Überall dort wo österreichische oder deutsche Unternehmen Niederlassungen haben, überall dort findet dann Lehrlingsausbildung in ähnlicher Art und Weise statt. Wir waren zum Beispiel unlängst mit der mittlerweile nicht mehr Ministerin Schramböck, der Wirtschaftsministerin, in den USA und haben uns dort ein Unternehmen angeschaut. Ein österreichisches Unternehmen – Egger – die quasi nach österreichischen Standards jetzt sogar in den USA Lehrlinge ausbilden. Also das heißt, irgendwie habe ich das Gefühl – und das freut mich und macht uns auch ein bisschen stolz – dass wir hier irgendwo ein Modell haben, das offenbar auch Exportschlager-Charakter hat.

 

Marina Herzmayer:    Schön. Österreich so ein bisschen als Vorreiter. Das hört man gerne. Du bist ja jetzt seit zweieinhalb Jahren zirka dabei, als Geschäftsführer bei zukunft.lehre.österreich und arbeitest ja auch immer wieder in Kontakt mit den Jugendlichen. Was sind so deine Beobachtungen? Was sind die Dinge, die Herausforderungen, die die Jugendlichen haben?

 

Mario Derntl:              Ich glaube das wichtigste, und das sind wirklich so ein bisschen die zusammengefassten Erkenntnisse aus diesen letzten zweieinhalb Jahren, das ist Augenhöhe. Menschen, junge Menschen wertschätzend und auf Augenhöhe ihnen zu begegnen und sie zu begleiten. Wir sehen das wirklich ganz extrem, dass die Unternehmen, die ein bisschen von dieser law and order policy, wie es in der Lehrlingsausbildung früher doch ein bisschen üblich war – quasi der Ausbilder schafft an und jetzt quasi „Mach das und setze um.“ … Viele Unternehmen sind mittlerweile, wie ich meine aus guten Gründen, davon weggekommen und man begegnet jungen Menschen wirklich auf Augenhöhe. Und ich glaube das braucht diese Generation auch wirklich. Und ich finde das hoch sinnvoll. Nämlich nicht nur aus Respekt den Menschen gegenüber, sondern auch aus Recruiting-Perspektive. Wir merken das nämlich: Die kommen heim und sind happy. Der kommt heim vom Job und sagt: „He, ich habe dort einen Ausbilder/eine Ausbildnerin und dort werde ich gemäß meinen Stärken auf Augenhöhe eingesetzt. Dort darf ich mich verwirklichen. Dort kann ich das einbringen, was ich selbst als junger Mensch mit meinen 15 oder 16 Jahren schon machen kann.“ Und überall dort funktionieren dann auch andere Dinge. Nämlich, die finden Lehrlinge; die finden sie quantitativ und die finden sie auch qualitativ. Da gibt es super Stories von Unternehmen, die zum Beispiel ihre Mitarbeiterfeste – also ich rede jetzt nicht nur vom Lehrlingsfest, sondern vom ganzen Mitarbeiterfest – zum Beispiel von den Lehrlingen planen lassen. Da gibt es super coole Insights, wo die Lehrlinge dann quasi sogar am Samstag in der Freizeit zusammengesessen sind und das Projekt weiter vorangetrieben haben. Warum? Weil man ihnen wertschätzend entgegengekommen ist und gesagt hat: „Wir trauen euch das zu. Ihr könnt das. Wir unterstützen euch dabei. Ihr bekommt Mentoren, die euch inhaltlich zur Seite stehen. Aber wir trauen euch das zu.“ Und dann glaube ich, können sich Menschen wirklich verwirklichen und das ist essenziell.

 

Marina Herzmayer:    Das heißt, das antiquierte Bild der Lehre löst sich in der Praxis Gott sei Dank schön langsam ein bisschen auf. Wie sieht es denn aber in der Theorie aus? Ich glaube da ist oft noch so ein bisschen ein alter Gedanke, wie du schon erwähnt hast – man hat keine Karrieremöglichkeiten und solche Sachen – drinnen. Wie sehen denn die möglichen Wege mit Lehre aktuell denn jetzt wirklich aus? Ich glaube es gibt drei Hauptwege. Kannst du die einmal kurz erklären bitte?

 

Mario Derntl:              Genau. Also wir haben das für uns so definiert, dass wir eigentlich sagen, es gibt ja eigentlich drei grundsätzliche Wege, wie du richtig sagst, wie du Matura machen kannst. Du kannst jetzt hergehen und ganz klassisch via AHS quasi den gymnasialen Weg, den Allgemeinbildenden, der auch für ganz viele Menschen passend ist. Dann haben wir quasi den berufsbildenden Weg für die Matura, die BMHSs, die HTLs und die HAKs, die es da gibt und – und das ist für uns so wichtig, quasi das als anerkanntes drittes Modell auf Augenhöhe zu etablieren – nämlich die praktische Möglichkeit zur Matura. Nämlich Lehre mit Matura. Dass ich hergehe und sage, auch ganz bewusst – schon zu Beginn als Motivationslage – dass ich sage, ich möchte das Beste aus beiden Welten nutzen. Ich möchte die praktische Ausbildung im Betrieb und die Berufsschule, die mir quasi für meinen Lehrberuf das praktische und theoretische Werkzeug dann vereint, und parallel dazu von Beginn an die Matura nachholen. Damit ich dann quasi sowohl meine fertige Lehre als auch die Matura habe. Das ist ein Riesenpotential, eine tolle Möglichkeit, die wir noch viel zu wenig ausschöpfen. Da sehen wir noch ganz, ganz viel Luft nach oben und eine superspannende Möglichkeit auch für junge Menschen, die sagen: „Ich möchte Matura machen. Aber ich möchte auch einen Beruf erlernen; eine praktische Ausbildung machen.“ … das miteinander zu vereinen.

 

Marina Herzmayer:    Eines dieser Beispiele bist ja du selbst auch, Mario. Du hast selbst auch eine Lehre gemacht. Warum hast du dich damals dafür entschieden?

 

Mario Derntl:              Ich bin ganz ehrlich. Mir ist es damals so gegangen wie ganz, ganz vielen jungen Menschen mit 15. Ich habe nicht recht gewusst, wo es hingehen soll im Leben. Da gab es ganz viele Optionen; gerade fertig mit der damaligen Hauptschule. Also ich bin in einem kleineren Ort aufgewachsen, wo das irgendwo ganz logisch auch war, nach der Volksschule geht man in die Hauptschule und dann schaut man einmal. Und auch meine Mutter – ich kann mich noch gut erinnern, das nehme ich ihr auch in keinster Art und Weise übel, das verstehe ich total – war darauf gepicht, dass der Sohn jetzt die Matura macht. Weil wir haben ja immer noch ein bisschen dieses Bild, ohne Matura wirst du in diesem Land gefühlt nichts, und das war natürlich auch damals vor 15 Jahren bei mir so. Und dann habe ich damals die HTL für mich ausgewählt. Aber aus Faktoren, die ich natürlich heute mit einem anderen Bild nicht mehr so wählen würde. Weil es war damals irgendwie so: die war modern, die war lässig, die hat man neu gebaut, dort sind die besten Freunde hingegangen, also mach ich das doch auch. Wir haben keine Berufsorientierung damals gehabt – oder keine wirkliche. Das heißt, ich habe mich bis zu diesem Zeitpunkt nie wirklich damit beschäftigt: Was sind jetzt eigentlich meine Stärken genau? Was macht mir eigentlich wirklich, wirklich Spaß und wo kann ich das vielleicht dann auch in einer Schule oder sei es in einem Job, umsetzen? Darum ist uns das auch als Verein inhaltlich so wichtig, um da einen Miniexkurs zu machen, wieso wir so auf Berufsorientierung pochen. Um genau solche Dinge wie bei mir, dass du dann nämlich im falschen Schultyp bist, um so etwas zu vermeiden. Ich war in der HTL von Tag eins an inhaltlich total falsch. Das war eine programmierlastige Schule und ich habe mich dort von Beginn an überhaupt nicht wohl gefühlt. Das war nicht meine Welt. Und das hat dann dazu geführt, dass auch meine schulische Karriere dann nur mittelerfolgreich war und ich relativ schnell erkannt habe, so wird das nix und dann mich um eine Lehrstelle bemüht habe und Gott sei Dank dann mit der Voestalpine einen ganz, ganz großartigen Ausbildungsbetrieb gefunden habe, wo ich dann Mechatronik gelernt habe.

 

Marina Herzmayer:    Wie ich schon erwähnt habe, du bist ja mit Lehrlingen auch in direktem Kontakt. Wie siehst du das jetzt so? Hat sich die Jugend da verändert mit 14 oder 15? Ist es leichter geworden oder haben die immer noch dieses gleiche Problem, von dem du gesagt hast: „Ich weiß einfach noch nicht genau, wo es hingeht.“? Wes bekommst du da so für Rückmeldungen?

 

Mario Derntl:              Ehrlicherweise glaube ich schon, dass das immer noch eine sehr große Challenge ist, ja. Wir merken ganz massive Unterschiede, um ganz offen zu sein. Jetzt haben wir mittlerweile in den neuen Mittelschulen, als auch in den BMHSs, die Berufsorientierung eigentlich verankert. Das heißt – jetzt muss man fairerweise sagen, dass das nicht immer dann in der Praxis genauso funktioniert – aber eigentlich gemäß gesetzlichem Plan müssten sich junge Menschen dann durch die Lehrerin/den Lehrer mit 13 oder 14 Jahren damit beschäftigen, wo es denn hingehen soll. Und wir merken, dort wo das exekutiert wird, wo man sich wirklich damit beschäftigt, da gibt es natürlich dann immer noch Veränderung danach, das ist ganz logisch, aber dort haben die jungen Menschen schon ein bisschen ein klareres Bild wo es hingehen soll. Und dann haben wir parallel dazu zum Beispiel die AHSs, wo es leider immer noch kein Berufsorientierungs- oder Bildungsorientierungsfach gibt. Das heißt quasi, wenn du die AHS Unterstufe beginnst, dann ist eigentlich der Plan, dass du die bis zum Ende durchziehst. Das ist ja auch legitim und fair und da gibt es auch keinen Einspruch unsererseits. Wir glauben nur, dass es viele junge Menschen gibt, die halt natürlich mit … Wie alt ist man da? Da bist du 12 Jahre oder so. Da triffst du natürlich noch nicht 100 %ig eigenständige Entscheidungen. Das heißt, da wirken natürlich ganz viele andere Faktoren mit ein. Und dass es auch durchaus zumutbar, und ich glaube auch sehr sinnvoll wäre, auch AHS-Schülerinnen und -Schülern die Möglichkeit der Berufsorientierung zu geben, damit sich die damit beschäftigen und sich anschauen: Wo will ich eigentlich hin im Leben? Und wenn dabei rauskommt, dass der junge Bursch oder das junge Mädchen sagt, ich möchte Architekt oder Jurist werden, dann bitte ist doch die AHS ein super Modell. Damit gibt es auch überhaupt einen Einspruch, sondern ein totales go for it. Nur, wenn dabei rauskommt, dass jetzt vielleicht jemand sagt, eigentlich habe ich total andere Wünsche, Stärken … Sei es zum Beispiel, der hat schon immer gerne an Autos herumgeschraubt und sagt: „Das macht mir riesig Freude. In meiner Freizeit würde ich nichts lieber tun als wie an Autos herumschrauben.“, dann glaube ich sollten wir schon andiskutieren – auch wenn das dann vielleicht den AHS-Direktoren nicht immer gefällt – ob jetzt der Bursch oder das Mädchen dann mit solcher Motivations- und Interessenlage wirklich auch richtig ist, dort. Also ich glaube es ist schon eine gewisse Abwägung. Aber generell merken wir, dass beim Thema Berufsorientierung, bei der Frage „Wo geht es hin in meinem Leben?“, da gibt es noch ganz viele Challenges. Und wir Österreicher sind da leider eher so ein bisschen in der Rolle, dass wir dann ganz, ganz stark sind, wenn es darum geht danach zu reparieren. Im Sinne von: Jungen Menschen dann quasi über den zweiten Bildungsweg wieder die Chancen aufzuzeigen. Sinnvoller wäre es natürlich, wenn es uns deutlich eher gelingen würde, früher zu erkennen, wo es einen jungen Meschen hintreibt und ihn dabei zu unterstützen.

 

Marina Herzmayer:    Ich finde ja du bist ebenfalls dafür ein sehr, sehr gutes Beispiel. Denn ich glaube aber genau auch das ihnen zu sagen ist ganz wichtig. Jetzt einmal etwas machen, was einen interessiert und was zu einem vermeintlich passt. Aber selbst, wenn man nach drei oder vier Jahren draufkommt nach der Lehre, es war vielleicht doch nicht der richtige Weg … Es ist noch lange nicht … Da geht die Welt nicht unter. Es ist noch lange nicht vorbei. Und ich glaube das war ja auch bei dir so. Du hast ja dann auch dich noch einmal neu orientieren können. Heutzutage in der Berufswelt ist das ja ohnedies mehr oder weniger schon fast normal.

 

Mario Derntl:              Da hast du vollkommen recht. Genau um das geht es uns auch. Also einfach diese Durchlässigkeit aufzuzeigen. Wenn ich heute mit 15 mich dazu entscheide eine Lehrlingsausbildung zu machen, dann heißt das ja nicht, dass ich dann für die nächsten 50 Jahre genau das ausüben muss. Da gibt es, mich inklusive, ganz viele Beispiele, wie du es richtig sagst, die dann einfach erkannt haben, wie es auch bei mir war, ich bin dann vielleicht nicht 100 %ig richtig gewesen, wo ich damals war, auch mit meinem Lehrberuf. Der hat mir zwar Spaß gemacht, aber ich habe dann irgendwo erkannt, eigentlich treibt es mich ein bisschen weg von der Technik in eine andere Richtung. Und die Lehre und der Lehrabschluss waren für mich dann eine super Basis, um genau dort weiter zu arbeiten. Ich bin dann auch in der Voestalpine unterstützt worden beim Thema die Matura nachzuholen mit der Berufsreife; quasi einem ähnlichen Modell wie wir heute das Lehre mit Matura Modell kennen. Und habe mich dann einfach verändert. Und ich habe immer davon profitiert, dass ich das gemacht habe. Da rede ich gar nicht von finanziellen Dingen, wie, dass ich dann zum Beispiel mir mein Studium durch das Selbsterhalterstipendium quasi mitfinanzieren habe können, wo quasi Menschen auch dann unterstützt werden, die vorher schon gearbeitet haben. Was mich am meisten da auch wirklich geprägt hat, das war einfach auch, dass mit 15 oder 16 Jahren du dann schon in einer anderen Welt bist. Nämlich in der Welt von Verantwortung. Ich will jetzt keinem Schüler Verantwortung absprechen, aber ich glaube schon, dass es einen Unterschied macht, ob du in der Schule einfach einmal vielleicht zwei Tage nicht erscheinst – da wird die Welt nicht untergehen. Wenn du aber zwei Tage einfach nicht zur Arbeit kommst, dann hast du ein Problem. Das geht nicht und das tut man nicht aus guten Gründen. Und genau diese Verantwortung mit 15 oder 16 Jahren zu erlernen, halte ich schon für einen sehr sinnvollen Zugang.

 

Marina Herzmayer:    Ihr habt ja auch vor kurzem eine Studie herausgebracht, in der wieder gezeigt wurde, dass gerade Jugendliche und Eltern noch dieses Credo haben: ohne akademische Laufbahn gibt es keine Karriere. Kannst du dem etwas entgegenstellen?

 

Mario Derntl:              Ja, wir können dem 1.890 – sind es mittlerweile – Gründe entgegenstellen. Das ist nur eines unserer vielen Dinge, nämlich wir haben 1.890 Menschen bisher gesammelt, die genau dem entgegenstellen wollen, dass sie sagen, ja, wir haben alle denselben Nenner, wir haben mit einer Lehre begonnen. Aber uns dann in unterschiedlichen Karrierewegen entwickelt. Und um das geht es uns da. Wir sehen sehr stark – und du hast diese Studie angesprochen – dass für Eltern, nämlich wirklich für Eltern ganz essenziell noch immer der Faktor Matura ist. Das können wir belegen. Da gibt es auch mehrere Studien dazu, dass quasi die Matura ganz wichtig ist – in den Bildern der Eltern. Und das kann dann Lehre mit Matura sein, das kann die Matura über die AHS sein, das kann die Matura über die HTL sein, whatever. Und da geht es uns einfach darum auch zu zeigen: Nur weil ich heute eine Lehre mache, bedeutet es überhaupt nicht, dass ich dann überhaupt keine Matura nachmachen kann; bedeutet überhaupt nicht, dass ich dann nicht auch noch studieren gehen kann. Es soll einfach die Grundlage sein für den weiteren Weg in meinem Leben, in dem es mich auch immer treibt. Ich kann mittlerweile selbst während der Lehre mit diesem ‚Lehre mit Matura System‘ die Matura schon nachholen. Ich kann alle Möglichkeiten dieser Welt einschlagen. Uns geht es darum, anhand von realen Beispielen, von Menschen, die es da draußen wirklich gibt, aufzuzeigen: Schaut her, das sind Menschen, die haben genau diesen Weg eingeschlagen. Die haben mit der Lehre begonnen und das war ihr Fundament für alle weiteren beruflichen und auch privaten Dinge im Leben. Weil ich glaube Verantwortung ist ja auch etwas, das brauche ich nicht nur im Beruf, das brauche ich auch in meinem Privatleben im Umgang, ob das mit der Freundin daheim ist oder bei der Sportausübung beim Teamsport ist. Verantwortung glaube ich, sollte man in allen Lebenslagen brauchen und zeigen.

 

Marina Herzmayer:    Wenn wir jetzt ein bisschen in die Praxis schauen. Also wir versetzen uns in die Situation einer 14 oder 15 jährigen Jugendlichen / eines Jugendlichen hinein. Welche Möglichkeiten gibt es da zum Beispiel aktuell in Österreich für diese Berufsorientierung, die du gesagt hast, die bei dir einfach noch gefehlt hat, aber dementsprechend heute hoffentlich umso stärker vorhanden ist?

 

Mario Derntl:              Es kommt ein bisschen darauf an, in welchem Schultyp die junge Dame jetzt zum Beispiel ist. Wenn sie jetzt eben nicht in einer Schule ist, wo Berufsorientierung ein Pflichtfach ist, dann wird es nämlich schon wieder spannend. Weil dann musst du quasi auf Eigeninitiative hergehen und dir überlegen als junger Bursch oder als junge Frau: Wo könnte ich mich jetzt hier schlau machen? Da gibt es Gott sei Dank schon coole Modelle. Zum Beispiel die Talente-Checks, die wir auch sehr promoten. Wo es darum geht, nämlich einerseits theoretisch anhand von Analysen quasi zu erkennen, wo habe ich meine Stärken und auch meine Schwächen; wo habe ich meine Kompetenzen, wo habe ich meine Fähigkeiten? Aber auch haptisch. Also daran gekoppelt ist auch ein drei Stunden haptischer Teil, wo ich quasi herausfinde, was macht mir auch Spaß in der Handhabung, wo sehe ich hier auch da meine Stärken und auch Schwächen. Und das doppelt Spannende an dem ganzen ist, damit du dieses Ergebnis bekommst, musst du a) mit einem Erziehungsberechtigten – das ist nämlich ganz, ganz essenziell – mit Mama, Papa, Lieblingsonkel, Tante, whoever, aber jemand, der quasi mit mir gemeinsam entscheidet. Weil es ist ja eine Illusion zu glauben, dass eine 15-jährige, wie von dir angesprochen, dann daheim alleine entscheidet und sagt: „Mama, ich mache jetzt eine Rauchfangkehrer-Lehre.“, sondern die Mama und der Papa reden da in der Regel schon noch mit. Und deswegen ist es ganz, ganz wichtig, dass die auch dabei sind, wenn dann analysiert wird, was dabei herausgekommen ist. Das sind meine Stärken, das sind meine Schwächen. Die dann auch oftmals gemeinsam mit Psychologen im besten Fall, die dann quasi natürlich auch ein bisschen feedbacken, ok, was heißt das jetzt konkret. Wie kann ich das, was mir Spaß macht, auch umsetzen. Und das ist dann schon eine hohe Erfolgsgarantie, dass ich mich dort wohlfühle. Dort ist es dann nämlich nicht mehr, wie es bei mir war, der beste Freund der dich triggert … „Ich gehe in die Schule, geh du auch mit und wir machen das schon irgendwie.“ … Sondern da hast du dann eine rational aber natürlich auch emotionale Entscheidung für dich, die schlüssig ist in der Regel. Weil sie natürlich auch a) von dir selber kommt aber dann natürlich von Profis, von Eltern, von Menschen, die sich damit beschäftigen, gefeedbacked wird. Und das ist der Schlüssel zum Erfolg. Das ist durchaus mit Kosten verbunden, das ist uns klar. Aber bevor wir dann ganz, ganz viel Geld wieder ins Reparieren stecken, ins Umschulen in den zweiten Bildungsweg, glauben wir, dass es viel sinnvoller wäre, hier davor vielleicht ein bisschen ein Geld auszugeben aber genau das dann vermeiden zu können. Und wenn ich mir anschaue, was wir Abbruchquoten haben, auch auf den Unis … Wenn ich jetzt zum Beispiel die AHS hernehme, dort ist ja glaube ich, mittlerweile sind wir bei 35 Prozent derjenigen, die von der AHS in die Uni kommen, die im ersten Studienjahr dann abbrechen, dann kann mir keiner erzählen, dass dieses System, wie es aktuell ist, wirklich reibungslos funktioniert.

 

Marina Herzmayer:    Jetzt ist diese Information und dieser Talente-Check und alle Möglichkeiten, die es da gibt, ein Weg. Ein anderer ist aber vermutlich immer noch dieses Ausprobieren. Eigeninitiative, einmal zu einem Unternehmen hinzugehen. Ich glaube, diese Möglichkeit gibt es ja auch immer noch. Da kommen vermutlich auch eure Partnerunternehmen ins Spiel. Wie handhaben sie diesen Prozess? Gibt es diese Möglichkeit, einfach einmal zu sagen, ich komme jetzt 14 Tage und schaue mir das live an?

 

Mario Derntl:              Ja, Gott sei Dank. Ganz ein wichtiger Punkt, den du da ansprichst. Das haben wir auch nämlich im Rahmen unserer Studie abgefragt. Da haben wir nämlich sowohl die Schüler, als auch die Eltern, als auch die Betriebe gefragt, wenn ihr jetzt an das Recruiting denkt, wenn ihr daran denkt, wo möchte ich im Herbst sein … welche Tools, auf welches greife ich zurück. Und wir waren dann doch ein bisschen überrascht, wie wir das Ergebnis gesehen haben. Denn so Themen wie ‚Ich informiere mich über social Media‘, das war irgendwo Rang 7 oder 8. Was am wichtigsten war, war, was du gerade angesprochen hast, nämlich das persönliche Erleben. Das Hinfahren, das Kennenlernen, das Schnuppern, die berufspraktischen Tage. Also die Chance, das ich jetzt einmal – ich nehme jetzt die Voest, eben weil ich es dort selber erlebt habe – dass ich dort hinfahren kann, mitarbeiten kann und mir einmal zwei Tage anschauen kann: Wie funktioniert das dort? Spricht mich das an? Komme ich mit den Menschen zurecht? Macht mir das eine Freude? Dass ich einfach einen Eindruck bekomme. Passt das zu mir? Ist das lässig? Macht mir das eine Freude? Weil dann kann ich natürlich eine ganz andere Entscheidung treffen. Und das ist ganz, ganz wichtig. Neben den Messen, das müssen wir auch noch dazusagen, das war nämlich eine richtige Challenge in der Covid-Zeit, als die ganzen Messen weggefallen sind. Das war nämlich eine wichtige Entscheidungsgrundlage für Eltern. Vor allem diese regionalen Messen, die es ja in jedem Bezirk gibt. Wo ich mir quasi einerseits die höheren Schulen anschauen kann; wo ich mir die Betriebe der Umgebung anschauen kann; wo ich durchgehen kann, mich mit den Menschen unterhalten kann und so quasi auch persönlich vergleichen kann: Was spricht mich da jetzt an? Und als das weggefallen ist, war das echt ein Problem. Was ich verstehe, weil natürlich die Entscheidungsgrundlage ganz anders basierend war. Ich habe theoretisch durchrufen können, aber das war alles noch sehr holprig. Also wir merken, dass es ganz, ganz wichtig ist, zu erleben. Wie es du angesprochen hast: Schnuppern, Gespräche dazu, sich auszutauschen und so einfach ein Bild zu bekommen: Ist das etwas für mich, oder nicht?

 

Marina Herzmayer:    Und dann ist für mich noch eine Frage ganz essenziell, das muss ich im Nachhinein auch erkennen bei den Studien. Da gibt es so diese klassischen Studien und dann gibt es diese klassischen Berufe, aber es gibt so viel mehr. Und es gibt heutzutage unzählige Schienen und Richtungen, in die man gehen kann. Gibt es da vielleicht auch Portale, egal ob jetzt für die Jugendlichen oder auch die Eltern, wenn man da ein bisschen in der Helferrolle drinnen ist. Gibt es da Portale oder Liste, wo man sehen kann, diese Lehrberufe gibt es überhaupt; oder diese Richtungen gibt es überhaupt alle, wo man sich hin entwickeln könnte. Vielleicht denkt man im ersten Moment gar nicht daran.

 

Mario Derntl:              Du hast sowas von recht. Wir haben in Österreich, man will es gar nicht glauben, 230 Lehrberufe. Und jetzt eine Zahl, die glaube ich auch das von dir beschriebene Phänomen gut aufzeigt: Bei den jungen Damen kommen auf drei Lehrberufe 50 Prozent der Abschlüsse. Das ist quasi die Friseurin, Bankkauffrau und Einzelhandel. Die machen 50 Prozent der Lehrabschlüsse aus. Das heißt, wir haben quasi einen riesen Pool, aber greifen immer nur auf dieselben Dinge zurück. Und das ist schade. Weil es gibt vielleicht wirklich etwas, wo ich jetzt im ersten Augenblick gar nicht daran denke als junge Frau, mir macht es zum Beispiel Spaß und dann ok, Friseurin, das ist das naheliegendste. Wenn das für mich passt, dann ist ja das super. Aber da gibt es wirklich auch ganz, ganz viele andere Möglichkeiten. Du hast recht, da scheitert es einfach total oft an der Information. Es kommt nicht an, dass es diese Möglichkeiten gibt. Da gibt es natürlich jetzt ganz, ganz viele Recherchethemen. Ich kann von der Wirtschaftskammer über das AMS, wo ich auch Listen dazu finde, wo ich Beschreibungen dazu finde. Am Ende des Tages führt es uns wieder zum schon angesprochenen Punkt der Berufsorientierung zurück. Denn wenn ich eine ernsthafte Berufsorientierung betreibe, dann zeige ich als Lehrer auch die ganzen Möglichkeiten auf. Dann schaue ich mir an: Ok gut, dich interessiert Hausnummer – ich bleibe beim KFZ-Techniker. Und dann gibt es diese und jene Möglichkeiten. Da gibt es wahrscheinlich auch HTLs in denen du dich in diese technischen Richtungen vertiefen kannst. Dann gibt es KFZ-Techniker mittlerweile sogar als Lehrberuf mit Modul für Elektro- und Hybridmotoren, also ein total spannendes Zukunftsfeld. Und dann kann ich eine ganz andere abgewägte Entscheidung treffen. Nur muss diese Information auch leicht zugänglich sein, das ist ganz klar. Und das führt uns aber natürlich wieder zur Schule zurück. Denn ansonsten sind wir immer quasi auf Einzelinitiativen angewiesen, dass jemand selber sagt, ich setz mich jetzt hin und google zum Beispiel, oder ich fahre an die örtliche WKO oder AMS-Stelle. Fakt ist, eigentlich ist das die Aufgabe der Schule.

 

Marina Herzmayer:    Und jetzt habe ich auch noch bei euch gesehen, es gibt einen Schwerpunkt für weibliche Lehrlinge. Ich finde das sehr spannend, weil ich auch immer mit weiblichen Lehrlingen in MINT-Fächern oder in MINT-Berufen zusammenarbeite. Was ist da genau der Unterschied bei euch in der Betreuung oder warum braucht es diesen extra Weg?

 

Mario Derntl:              Wir haben jetzt einen kleinen Schwerpunkt, oder gar nicht so kleinen Gott sei Dank Schwerpunkt, auf das Thema Stärkung von Finanz- und Wirtschaftskompetenzen für weibliche Lehrlinge gesetzt. Es ist grundsätzlich natürlich ein generelles Problem, dass junge Menschen sich oftmals leider auch ein bisschen, weil es in der Schule auch keinen Platz findet, sich kaum mit Finanzen beschäftigen. Sei es die eigenen, da geht es auch um Zukunftsplanung, da geht es um Vorsorge, da geht es um Themen wie: Ich möchte mir irgendwann vielleicht einmal eine Wohnung kaufen, ein Haus bauen können. Wie komme ich überhaupt dazu, dass ich einmal das Geld dazu habe? Also ganz, ganz viele Themen, die leider oft zu kurz kommen. Und wir wissen heute, dass es leider überproportional vor allem bei jungen Frauen ist. Natürlich auch aufgrund wahrscheinlich unterschiedlicher Interessenslagen und auch anderer Schultypen, die hier gewählt werden, kommen die noch schwieriger zu dieser Information. Und deshalb haben uns wir auch dazu entschieden, hier einen bewussten Schwerpunkt zu setzen und junge weibliche Lehrlinge dabei zu unterstützen. Das machen wir aktuell mit beginnenden digitalen Webinaren. Das heißt, die sind dann eher ein bisschen sehr leicht verdauliche Vortragskosten zum Thema Finanzkompetenzen und das ganze wird aber gesteigert bis hin zu einem großen Event, wo wir dann auch auf Workshopbasis aufbauend uns intensiver mit dem Thema beschäftigen wollen. Bis hin zu Themen wie Cryptocurrencies, die ja auch aktuell im Kommen sind und wo es zumindest klug ist, es zu verstehen, was ist das eigentlich? Und dann auch selber die Abwägung zu treffen: Ist das für mich spannend oder ist es das nicht?

 

Marina Herzmayer:    Wenn du jetzt ein bisschen auf deinen aktuellen Arbeitsalltag schaust, wie weit würdest du sagen, haben wir uns in Österreich eurem Ziel, die Lehre attraktiv zu machen, sie dem AHS-Abschluss gleichzustellen, schon angenähert?

 

Mario Derntl:              Schon gut. Es ist immer ein Weg und der ist noch nicht vorbei. Aber ich merke es subjektiv in den Gesprächen mit Schülern selber, aber auch wenn ich mit Eltern spreche. Wir merken, dass die Matura immer noch sehr, sehr wichtig ist, aber zunehmend können wir eben aufzeigen, dass genau diese Entscheidung: Ich möchte auch eine Matura machen, die kann ich ja trotz Lehre treffen. Das ist ja nicht ein Ausschlussgrund. Und das ist einfach ganz wichtig. Und ich nehme es schon so wahr, dass wir zunehmend ein bisschen wieder in die Richtung kommen, wo es nicht zwingend für jedes Kind die Hochschule sein muss, sondern anhand von ganz, ganz vielen Beispielen ja aufzeigen können, dass das eine Möglichkeit ist, aber es auch noch ganz viele andere Möglichkeiten gibt. Das heißt, in a nutshell würde ich sagen: Der Weg ist schon noch ein langer, aber wir befinden uns am richtigen Weg.

 

Marina Herzmayer:    Das sind gute Neuigkeiten. Ich habe noch einen lustigen – nennen wir ihn lustigen – Faktor gelesen in der Studie drinnen. Da wurde erwähnt, dass der Begriff Lehrlinge nicht mehr zeitgemäß sei. Hättest du da eine bessere Idee schon gefunden dafür?

 

Mario Derntl:              Leider noch nicht. Aber das haben wir ganz bewusst abgefragt, weil das ja eigentlich ein Begriff der Vorkriegszeit ist. Das gibt es ja schon seit fast 100 Jahren. Und dieses Lehrling … das hat ja ein bisschen etwas verniedlichendes. Und wir haben das auch in der Vorrecherche ein bisschen herausgefunden, dass viele Ausbildungsbetriebe das gar nicht mehr so im wording verwenden. Wenn du Zeit hast, musst du einmal googeln und einige Jobpages, Landingpages, Recruitingpages anschauen. Dort liest man oft nur mehr von Ausbildung … also man greift bewusst schon auf andere Begriffe zurück, weil eben das wording Lehrling nicht ganz optimal ist. Leider Gottes haben wir hier auch nicht die sogenannte eierlegende Wollmilchsau quasi, die jetzt alles neu und besser macht, haben aber auch ganz bewusst dann zu einem Prozess aufgerufen. Und auch das wollen wir im Rahmen unseres Tages der Zukunft dann tun … gemeinsam zu überlegen, was könnte denn ein neuer Begriff sein? Und sozusagen nicht nur an der Verpackung arbeiten, also am neuen wording, sondern auch vom wording ausgehend auch inhaltlich zu schauen. Wenn wir schon dabei sind hier quasi auch in der Struktur etwas zu verändern, dann gehen wir in die Tiefe hinein und überlegen uns, wie sollte dann auch wirklich vielleicht der Alltag, der strukturelle Alltag, der Ausbildung ausschauen. Ich glaube, wir sollten schon ein bisschen wegkommen davon:So wie es immer war, so muss es auch zukünftig sein. Wer sagt uns das? Ich glaube das sagt uns niemand und da können wir auch sicherlich dorthin gehen, wo es vielleicht ein bisschen weh tut und einmal über den eigenen Schatten zu springen und auch Dinge zu hinterfragen. Dieser Prozess, der wird sicherlich auch eine gewisse Zeit brauchen, aber wenn wir von Imageaufwertung, von struktureller positiver Veränderung reden, dann muss es eh nicht von heute auf morgen passieren und dann wird es auch nicht von heute auf morgen passieren. Sondern, wie schon erwähnt, ich glaube es ist der Weg der kleinen Schritte und der kleinen Bausteine, der uns da gut hilft.

 

Marina Herzmayer:    In Deutschland ist es glaube ich ohnedies der Begriff Auszubildende/Azubis. Also vielleicht finden wir da noch einen deutschen Begriff dazu.

                                   Mario, wenn du dich heute noch einmal entscheiden könntest für eine Lehre … Du hast gesagt Mechatroniker war nicht die perfekte Lehre für dich … Was würdest du heute noch einmal machen?

 

Mario Derntl:              Ich kann es dir nämlich gar nicht genau sagen. Du hast recht, Mechatroniker würde ich nicht mehr machen, weil ich einfach nicht der geborene Techniker bin. Ich sehe meine Stärken vor allem im Umgang mit Menschen, in der Mischung aus vielen sozialen Faktoren aber auch so ein bisschen betriebswirtschaftlich und kommunikationstechnisch. Also ich müsste wahrscheinlich aktuell mich selbst hinsetzen und mir anschauen, welcher der 230 Lehrberufe würde denn genau für das, was mir Spaß macht, passen. Und ich glaube ich würde fündig werden, weil ich auch – und das ist irgendwie für mich das wichtige das bleibt – auch wenn es vielleicht nicht mehr die Mechatroniker Lehre wäre, die Lehre selber würde ich wieder machen. Weil ich dort eben ein Rüstzeug mitbekommen habe, das mir wirklich, wirklich sehr oft im Leben schon geholfen hat und nebenbei auch die Matura machen habe können. Und ich war dann quasi fast sogar zum selben Zeitpunkt wie meine damaligen Kollegen fertig. Also das war einfach eine richtige Entscheidung. Beim Lehrberuf selber müsste ich mich einmal hinsetzen und wirklich gut überlegen. Es müsste auf jeden Fall irgendetwas in der Vermischung von sozialen und wirtschaftlichen Faktoren sein und hier gibt es ja einige sehr, sehr coole Möglichkeiten.

 

Marina Herzmayer:    Berufsleben ist spannend und das bleibt es auch für die Zukunft. Vielen herzlichen Dank Mario Derntl.

 

Mario Derntl:              Dankeschön! Danke für die Zeit, hat mich total gefreut! Danke.

 

Marina Herzmayer:    Herzlichen Dank an alle Zuhörerinnen und Zuhörer. Wenn euch der Podcast gefallen hat, bewertet ihn bitte auf Apple Podcast oder Spotif. Und wenn ihr der Meinung seid, diese Folgen sollten mehr Menschen zu hören bekommen, dann empfehlt unser Format gerne weiter.

 

[Musik klingt aus]