Zukunftschancen

Storytelling statt G’schichtln einidruckn - mit Markus Gull

Episode Summary

Dieses Mal zu Gast ist "The Story Dude": Markus Gull ist 59 Jahre alt und auf dem kreativen Berufssektor gibt es kaum etwas, das er nicht gemacht hat. Er ist Autor, Coach, Regisseur und hat sogar ein Unternehmen in New York gegründet. Das Ergebnis daraus? Viele Geschichten, die er nun als Speaker teilt und dabei feststellt: Den Menschen fehlt die eigene Story. Durch das Gespräch führt Marina Herzmayer. Dieser Podcast wird präsentiert vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft.

Episode Notes

In dieser Episode ist  "The Story Dude" zu Gast: Markus Gull ist 59 Jahre alt und auf dem kreativen Berufssektor gibt es kaum etwas, das er nicht gemacht hat. Er ist Autor, Coach, Regisseur und hat sogar ein Unternehmen in New York gegründet. Das Ergebnis daraus? Viele Geschichten, die er nun als Speaker teilt und dabei feststellt: Den Menschen fehlt die eigene Story.
Durch das Gespräch führt Marina Herzmayer.
Dieser Podcast wird präsentiert vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft.

Episode Transcription

[Intro-Musik]

 

Marina Herzmayer:    Mein heutiger Gast ist The Story Dude. Markus Gull ist 59 Jahre alt und auf dem kreativen Berufssektor gibt es kaum etwas, das er nicht gemacht hat. Er ist Autor, Coach, Regisseur und hat sogar ein Unternehmen in New York gegründet. Das Ergebnis daraus? Viele Geschichten, die er nun als Speaker teilt und dabei feststellt: Den Menschen fehlt die eigene Story.

                                   Mein Name ist Marina Herzmayer und ich führe heute durch dieses Gespräch.

 

[Musik]

 

Marina Herzmayer:    Markus … schön, dass du dir Zeit genommen hast.

 

Markus Gull:               Danke für die Einladung.

 

Marina Herzmayer:    Du kommst ja gerade aus einem Vortrag von Future of Works. Was hast du den Teilnehmer/innen da über die Zukunft der Arbeit erzählt.

 

Markus Gull:               Ach … ich komme aus der Zukunft der Arbeit. Naja, in der Essenz habe ich ihnen gesagt, dass ich davon überzeugt bin, die Zukunft der Arbeit ist jenseits von Arbeit. Und zwar jenseits von Arbeit, wie wir sie kennen als Modell: Du gehst wohin, verbringst dort deine Zeit, erbringst dort deine Leistung, bekommst Geld und damit hoffnungsfroh deine Selbstverwirklichung und fristest davon dein Leben, dein Dasein. Das wird nicht mehr stattfinden in der Zukunft. Da wird Arbeit etwas anderes bedeuten und ich glaube etwas Besseres, nämlich den Sinn. Und darüber habe ich ein paar Gedanken geteilt und ich hatte das Gefühl, dass das ein bisschen Bewegung in die Menschen gebracht hat und hoffentlich auch die Menschen in Bewegung.

 

Marina Herzmayer:    Mhm. Bewegung ist schon ein gutes Stichwort. Storytelling ist dein Steckenpferd, traue ich mich jetzt einmal so zu behaupten. Viele wissen aber gar nicht, was Storytelling wirklich ist. Es klingt total cool, es klingt total neu und modern. Aber was steckt wirklich dahinter?

 

Markus Gull:               Ja, da muss man jetzt – und Storytelling ist ein ganz wichtiges Stichwort, danke dafür – ein paar Sachen unterscheiden. Storytelling ist ja eines dieser Buzzwords, die heutzutage herumgeistern. Jeder sagt, ich bin Storyteller/in; was prinzipiell stimmt. Allerdings bleiben in diesem Bemühen, eine bessere Geschichte zu erzählen, die Menschen sehr oft im Rahmen hängen. Also in der Art des Erzählens, im Handwerk. Und vergessen dabei, dass es zwar wichtig ist, wie gut wir erzählen, aber substanziell geht es darum, was wir erzählen und warum wir erzählen. Und insofern kann man da gar nicht von einem Steckenpferd sprechen, sondern Story ist unser Betriebssystem, und zwar von jedem Menschen. Man könnte sagen, wir denken in Story. Ich glaube das geht sogar noch tiefer. Es denkt in uns wie Story. Das ist unser Werkzeug; unser menschliches Werkzeug. Und soweit wir wissen, sind wir Menschen die einzigen, die Geschichten haben als Lebewesen. Mit Geschichten erklären wir uns selbst und einander die Welt. Warum wir da sind, was wir hassen, wen wir lieben sollen, was wir tun sollen, was der Sinn ist, warum wir auf die Welt kommen obwohl wir sterben und dazwischen ein Bewusstsein entwickeln. Und das können wir uns nur mit Geschichten erklären. Manche schauen aus wie Religionen, das sind Metaphern-Sammlungen über Spiritualität. Manche schauen aus wie Geschichten von Krieg und Frieden. Es ist letztlich immer dieselbe Geschichte, die wir erzählen.

 

Marina Herzmayer:    Spannend. Da haben wir ein spannendes Gespräch vor uns.

 

Markus Gull:               Oh ja, die nächsten neun Stunden [lacht]

 

Marina Herzmayer:    [lacht] Ich sehe schon, dass wir da ein bisschen tiefer eintauchen können. Was ich auch ganz spannend gefunden habe … Du hast gesagt, oder ich habe das gelesen von dir: „Es geht nicht ums G‘schichteln erzählen.“

 

Markus Gull:               Ja.

 

Marina Herzmayer:    Was ist denn der Unterschied? Kann man den auch kurz klarmachen zwischen dem Storytelling? Geht das tiefer als G’schichteln erzählen oder wo ist da der Unterschied?

 

Markus Gull:               Ja … na die G’schichteln, wie wir Österreicher das gerne sagen, das hat ja oft mit der Wahrheit wenig zu tun und sehr oft auch ist es ein Navigationsgerät an der Wahrheit vorbei. Das ist das G’schichtel. „Jemanden a G’schichtl einidruckn.“ Story an sich ist auf der Suche nach Wahrheit. Das ist genau das Gegenteil. Und ich sage ganz bewusst ‚auf der Suche nach Wahrheit‘, weil ich glaube, dass es in ganz wenigen Fällen nur, tatsächlich Wahrheit gibt. Ansonsten ist das immer nur eine Frage der Perspektive. Und Story ist wiederum Perspektive. Das sieht man jetzt gerade grauslichster Weise in der Ukraine. Weil, wenn man hinschaut, erzählen beide Gruppen: „Wir kämpfen um die Freiheit.“ Also dieselbe Geschichte. Dass unsere oder meine Sympathie – ich glaube ich kann für alle sprechen – zu tausend Million Prozent auf Seite der Ukrainer steht, ist ja keine Frage. Aber auf beiden Seiten geht es um dieselbe Story. Und darum spreche ich auch ungern von Storytelling, wenn wir über unser Thema sprechen, sondern lieber von Storysharing. Wir teilen Geschichten. Und zwar miteinander, weil wir die gleichen Werte teilen. Und Werte sind die Vokabel einer Geschichte. Damit erklären wir uns. Und es ist im Prinzip immer so, dass in jeder guten Story, in jeder guten Geschichte, ein Wert in Gefahr ist, den wir verteidigen müssen. Und irgendwo ist in der Geschichte deines Lebens, meines Lebens, in der Geschichte, in der Literatur, wo auch immer, steht die Hauptfigur, die Heldin/der Held, irgendwann in der Dilemma-Frage: „Was tue ich jetzt?“ Und ich muss mich entscheiden. Verteidige ich diesen Wert? Stehe ich zu diesem Wert, auch wenn es mir selber schadet? Also bin ich so integer, habe was gelernt, stehe dazu? Und daran wachsen wir und wachsen wir über uns hinaus. Das ist Story.

 

Marina Herzmayer:    Du bist ja auch als Coach tätig …

 

Markus Gull:               Ja.

 

Marina Herzmayer:    … und hilfst Menschen, ihre eigene Story zu finden. Wie gehst du das an? Hat tatsächlich jeder eine coole Story? Oder gibt es quasi da Besonderheiten?

 

Markus Gull:               Naja … eine coole Stroy glaube ich, hat nicht jeder. Und das ist auch gar nicht nötig. Aber jeder hat eine Geschichte. Nein, jeder hat zwei Geschichten. Und das ist das wesentliche. Jeder hat zwei Geschichten. Das ist zum einen einmal die äußere, die wir erzählen, nicht? So diese hedonistische Geschichte. Was wir erreicht haben; was wir können; unsere Abenteuer, die wir erlebt haben. Die Heldentaten in der Geschichte von einem Unternehmen: Wie ich es gegründet habe und wie es dann gewachsen ist und die Konkurrenz; und dann waren wir kurz vorm Zusperren; und darüber hinaus, und, und und. Aber die innere Geschichte, die nicht biografische, die – André Heller hat das einmal so schön gesagt: „Wie wir uns lernend in gelungene Menschen verwandeln“ – das ist die wichtige. Und die hat jeder. Aber die wenigsten kennen sie; die wenigsten wissen, dass sie eine haben. Und das ist der Grund, warum so viele Menschen so unglücklich sind. Warum Depressionen wachsen … also die Anzahl an Depressiv Erkrankungen extrem wachsen und alles was es da an Varianten und ähnlichen Dingen gibt. Weil diese innere Geschichte uns den Sinn erklärt. Die programmiert uns. Die sagt uns, wo unser Leuchtturm steht. Und diese Geschichte hat jeder. Und dabei begleite ich den Menschen, sie zu finden und die basiert natürlich einmal ganz wesentlich in den Werten. Und so beginnen wir immer. Dass wir uns mit den Werten auseinandersetzen. Und es gibt 127 anerkannte Werte. Und da muss man sich einmal ganz ehrlich sein: Was ist mir denn wirklich wichtig? Und dann setzt man den nächsten Schritt. Und viele dieser Sachen münden dann auch in: Welche Arbeit verrichte ich? Welchen Beruf übe ich aus? Aber nicht notwendigerweise. Und das ist genau der Punkt – und da schließt sich der Kreis zu deiner Eingangsfrage, worüber wir bei Future of Work gesprochen haben – dass es nicht notwendigerweise mit der Arbeit, die ich als Beruf und als Einkommensquelle ausübe zu tun hat, ob ich eine innere Story habe. Weil, die meisten Menschen auf der Erde stehen in keinem Arbeitsprozess. Die ganzen Kinder nicht, die Jugendlichen nicht, die Pensionisten nicht, die Arbeitslosen nicht et cetera, et cetera. Die meisten Menschen arbeiten ja nicht. Und das wird so weitergehen … Technologieentwicklung und so weiter und so fort. Und umso wichtiger ist es dann, dass ich mir selbst die Welt erklären kann. Weil, wer soll es denn sonst machen? Die Heidi Klum? Oder verwechseln wir das Paradies mit dem Dschungelcamp? Oder was passiert denn dann? Und das kann nur von innen herauskommen.

 

Marina Herzmayer:    Das klingt, also … Das klingt nicht danach. Du sagst es ja … Werte sind wichtig. Es klingt aber auch ein bisschen nach Sehnsucht, nach dem was unsere Werte quasi ausmachen. Welche Sehnsucht, würdest du sagen, hat dich so angetrieben?

 

Markus Gull:               Oft erkennt man die Sachen, und ich bin einer von denen, die die Umstände, die einen treiben, erst im Rückspiegel erkennen. Man sagt ja: „Das Leben wird nach vorwärts gelebt und nach rückwärts, nach hinten, verstanden.“ Wir Österreicher schauen uns überhaupt die Zukunft im Rückspiegel an. Wir sind dabei ganz besonders geschickt. Also ich habe irgendwann festgestellt, was mich so angetrieben hat. Und zwar war das, dass ich als Kind einen unendlichen Schöpfungsdrang in mir hatte … einen Kreativdrang, der aber nicht gesehen wurde. Und ich war naturgemäß eingebaut in so ein Funktionssystem, das wir ja so gerne Bildungssystem nennen, was aber mit Bildung überhaupt nichts zu tun hat und mit Ausbildung am Rande. Und habe dauernd Sachen gemacht, wo ich mir gedacht habe, dass man das von mir erwartet und habe mein Leben nicht gelebt. Und, dafür bin ich einerseits natürlich dankbar, ich habe eine Schattenkarriere gemacht, die sehr erfolgreich war. Viele machen ihr ganzes Leben … streben so eine Karriere an und machen das nicht. Also da bin ich ja zutiefst dankbar … mit meinen Werbeagenturen und was mir alles gelungen ist. Aber das war nicht mein Leben. Und das habe ich dann auch intensiv gespürt in gesundheitlichen Fragen. Was halt dann so passiert, wenn man sein Leben nicht lebt. Und das ist ja das Giftigste, was es überhaupt gibt, ungelebtes Leben. Und irgendwann habe ich dann so im Rückspiegel verstanden, was ich auch in meiner Arbeit, in der Werbung – wenn ich für Unternehmen gearbeitet habe – immer gemacht habe und ich nicht die geringste Ahnung hatte, was ich in Wirklichkeit mache. Das habe ich dann plötzlich gemerkt, als mich Leute darauf angesprochen haben: „Kannst du dich noch erinnern? Vor zehn Jahren hast du das und das und das gemacht.“ Und plötzlich habe ich verstanden, dass ich die ganze Zeit … Und mir gedacht habe: „Ich bin doch der größte Hornochse, den es überhaupt gibt.“ Ich berate Unternehmen in einem Feld, wo ich für mich selber überhaupt nicht weiß, was mein Feld ist. Als ich das verstanden habe, ist für mich alles aufgegangen. Da habe ich verstanden, dass meine Aufgabe ist, was meine Arbeit ist. Und seitdem arbeite ich nicht mehr. Ich mache nur mehr das, wofür ich da bin auf dieser Welt. Glaube ich halt. Ich bin mir fast sicher schon [lacht].

 

Marina Herzmayer:    Mhm. Wenn du sagst, in der Arbeit geht es auch viel um dieses: „Was wirklich meine Aufgabe ist.“ Ich habe auch gelesen, du hast gesagt, du arbeitest nur noch mit Menschen, mit denen du auch gerne Essen gehst.

 

Markus Gull:               Mhm.

 

Marina Herzmayer:    Ist das so quasi das Gelebte davon?

 

Markus Gull:               Das ist ein Teil. Das ist ein Teil und das klingt jetzt ein bisschen wie: „Man kann sich seine Arbeit aussuchen.“ Stimmt natürlich nicht. Bei mir ist es Gott sei Dank – toi, toi, toi – so, dass ich es mir aussuchen muss. Die Menschen wollen immer mit mir selber arbeiten und nicht mit meiner Company. Und dadurch – physikalisches Prinzip – mein Tag hat auch nur 48 Stunden [lacht] Oder sind es noch weniger? Und da muss ich jetzt Entscheidungen treffe und da schaue ich immer: Wo kann ich am meisten bewegen? Und am meisten bewegen kannst du natürlich mit Menschen, wo du auf derselben Wellenlänge bist. Wo du gerne zusammen hockst und auch einmal etwas isst miteinander und am Tisch sitzt. Das ist das eine. Und das andere ist, weil ich jeden Tag in der Früh aufstehe und eine Aufgabe habe, die ich erfülle. Und das erfüllt mich. Und das habe ich dann auch irgendwann verstanden, dass das nötig ist, dass Menschen dabei Unterstützung bekommen. Und das mache ich; dass sie ihre Aufgabe erkennen. Und wenn du schaust, alle, die so große Karrieren gemacht haben, die haben alle keine Karriere gemacht. Das ist ein Ergebnis gewesen. Die haben alle eine Aufgabe gehabt, die sie erfüllt haben. Egal ob das jetzt eine Greta Thunberg ist, ob das ein Steve Jobs ist, ob das ein Dalai Lama ist, ob das eine Jane Goodall ist … diese ikonischen Figuren, die jeder kennt. Also das heißt nicht, dass es nur diese Menschen sind, aber die kennt halt ein jeder, darum erwähne ich sie. Ich habe … darf ich eine Geschichte erzählen? Von der Klo-Frau?

 

Marina Herzmayer:    Sehr gerne.

 

Markus Gull:               Das war für mich ein epiphanisches Erlebnis. Ich war vor … also über Weihnachten 2019/2020 in Südafrika und habe eine wundervolle Reise gemacht. Und da bin ich dann so Mitte Jänner, das war kurz vor der Pandemie, am Flughafen in Kapstadt gestanden, am Gate, und musste auf die Toilette. Und wer mich kennt, weiß – die Figur Monk ist nach meinem Vorbild geschmiedet – dass das jetzt ein programmierter Besuch in der Hölle wird. Und ich habe das hinausgezögert und mir gedacht, ich bin der erste im Flugzeug. Aber Mutter Natur hat gesagt: „Du bist sicher nicht der erste im Flugzeug, du gehst jetzt da hinein.“ Und ich war zutiefst glücklich, dass ich keine Schuhe mit Ledersohle anhatte und habe mir gedacht: Augen zu und durch. Und ich gehe da hinein und werde von der Klo-Frau empfangen. Und die Klo-Frau ist ein Klo-Mann gewesen. Ein, wie man sich vorstellen kann, schwarzafrikanischer Mann, Mitte 40, hatte eine blaue Anzughose an, ein blaues Hemd mit weißen Streifen und empfängt mich dort an der Tür und geleitet mich hinein mit den Worten: „Welcome to my office. Enjoy your meeting.“ Und da war ich natürlich vollkommen fertig. Der Schmäh, da bin ich sowieso wehrlos. Aber das war eine doppelte nachhaltige Lektion. Das erste war: Sei nicht so chauvinistisch, lieber Markus. Nur weil du am Gate in Kapstadt am Flughafen stehst, heißt das nicht, dass das Klo nicht geputzt ist. Das Gegenteil war nämlich der Fall. Es war ein Paradies der Hygiene. Aber das zweite war: Dieser Mensch hat sich seine innere Geschichte gut programmiert. Der hat verstanden, obwohl ich mir mein Leben nicht durch eine rosarote Brille anschaue, sondern den größten Teil des Lebens durch eine Klobrille, dass ich nicht den Dreck wegputze, sondern dass ich einen Raum für Lebensqualität schaffe. Und das hat mich total fasziniert. Nämlich, das ist ja wirklich ein Beruf … niemand hat den Traum und sagt: „Wenn ich groß bin, werde ich Klo-Mann.“ Das gibt es nicht. Und da kam mir in den Sinn … Mir begegnete in Wien – da habe ich einmal in einem Bezirk gewohnt – ein Müllmann, der seine Eleganz hatte. In meinem Alter, also er war noch nicht in Pension. Der hatte so eine Eleganz bei seiner Arbeit, eine Freundlichkeit. Da wusste ich, dass der verstanden hat … Und dann habe ich gelesen über Putzpersonal, wiederum Reinigungspersonal in Krankenhäusern in England … da gab es eine Untersuchung in der Glücksforschung. Und auch da gab es genug Menschen, die natürlich ihr Leben gehasst haben und depressiv und Burnout und putzen im Krankenhaus … kann sich jeder vorstellen. Und dann gab es aber eine Gruppe von denen – kein medizinisches Personal, ich betone das noch einmal – die waren total arbeitszufrieden. Und das waren Leute, die haben in einer Komastation gereinigt und haben mit den Patienten gesprochen. Da gab es natürlich 0 Antwort. Die haben dann auch Sachen umdekoriert. Und die haben sich selber gesagt: „Wir schaffen einen Raum für Genesung.“ Das hat mich so fasziniert. Also es geht nicht darum, dass du Steve Jobs warst. Sondern es geht darum, welche Perspektive hast du auf deine Aufgabe. Eltern-sein, Lehrer-sein … das ist ja der wichtigste, von den Berufen die es gibt – also abgesehen jetzt von Bauern – ist der Lehrer einer der heiligsten Berufe überhaupt, die es gibt. Und in unserer Gesellschaft ist das so auf der Dodel-Liste weit oben, worüber man sich lustig macht. Ist das nicht eine Katastrophe? Die Lehrer, die in Wahrheit Transformationsbegleiter sind für junge Menschen, für die Zukunft unserer Welt, werden heruntergedodelt, anstatt dass die die besten Arbeitsbedingungen, die größte Unterstützung bekommen können. Und da glaube ich, erzählt sich unsere Gesellschaft eine völlig falsche Geschichte. Und wir wissen, Gesellschaften, die sich falsche Geschichten erzählen, die werden dekadent, die laufen aus dem Ruder, die werden kaputt. Und bei uns ist es 5 vor 12 und ich meine 5 Sekunden, nicht 5 Minuten vor zwölf. In vielen, vielen Fragen, die uns aus dem Ruder gelaufen sind. Das ist eine davon.

 

Marina Herzmayer:    Ich kann das noch positiv unterstreichen. Es gibt nämlich außerdem noch eine Stude, dass, wenn Menschen gerne Toiletten putzen, dass die auch länger sauber bleiben, weil, das Gute vermehrt sich Gott sei Dank.

 

Markus Gull:               Ja! Das ist das wunderbare! Das hat Goethe ja schon so schön gesagt: „Willst du glücklich sein im Leben, trage bei zu anderer Glück. Denn das Gute, das wir geben, kehrt ins eigene Herz zurück.“ Heute wissen wir es aus der Wissenschaft, dass der Wissenschaftler Goethe Recht gehabt hat … wie so oft.

 

Marina Herzmayer:    Aber bleiben wir vielleicht ein bisschen beim Thema Bildung, Lehrer/Lehrerinnen, Entwicklung. Schauen wir auf unsere Jugend.

 

Markus Gull:               Ja.

 

Marina Herzmayer:    Wenn ich jetzt zuhause sitze, ich bin 17 Jahre und denke mir, ich habe ein total durchschnittliches, normales Leben. Wo bekomme ich da jetzt diese Story her? Hat die jeder schon oder ist dieses Alter eines, wo man sagt: „Ich gehe in die Welt hinaus und sammle oder lerne mir selbst meine Story“?

 

Markus Gull:               Naja, das ist ein Fragenbündel, das du da geschickt in einen Satz verpackt hast. Das eine ist: Woher lernen wir unsere Stories? Die lernen wir natürlich von Vorbildern. Und der Umstand, dass sich unsere Großfamilien aufgelöst haben – und ich weiß, es gibt gute Gründe dafür; nämlich tatsächlich gute Gründe – hat einen riesen Schaden angerichtet: Dass die Kinder keine Vorbilder mehr haben. Denk einmal ein junges Paar bekommt heute ein Kind und erzählt darüber. Ich glaube es vergehen keine drei Sätze, bis zum ersten Mal das Wort Problem vorkommt. Zum Thema: Ein neues Menschenwesen kommt auf die Welt und damit die Hoffnung, dass die Welt ein bisschen besser wird. Also im dritten Satz ist es ein Problem. Und nach einem Jahr wird das Kind weggegeben. Irgendwohin. Also so wächst unsere Spezies auf. Früher hat man noch Vorbilder, auch nicht immer gute Vorbilder, gehabt. Die Großeltern im selben Elternhaus. Da hat man einfach erlebt, was ist was. Also so lernt man seine Geschichte, so werden Werte weitervermittelt. Heute … hm ? Instagram, TikTok und so. Vorbilder … Influencer. Die wichtigsten Influencer, die Lehrer, fallen durch den Rost. Die Lehrer sind so wichtig. Jeder von uns – wenn er an seine Schulzeit denkt – ja die Lehrer, haha, aber irgendwann kommt dann: „Aber eine besondere Lehrerin in der Volksschule, aber dieser …“ Und das waren nie, interessanterweise, die Lehrer, von denen du am meisten Wissen vermittelt bekommen hast, sondern die immer Vorbilder gewesen sind. Und ich hatte jedenfalls zwei Lehrer, an die ich immer noch wahnsinnig gern zurückdenke, drei Lehrer eigentlich. Einen Englischlehrer – und ich war nie gut in der Schule. Ein Englischlehrer, ein Sportlehrer – und ich war ein unsportlicher Mensch – und ein Religionslehrer, die mich als Menschen so beeindruckt haben. Bis heute. So … Und die Geschichte, die jeder Mensch hat in sich – und das ist die einzige Geschichte, die wir uns in unendlichen Varianten immer wieder erzählen – ist die Geschichte vom Wachsen. Ich habe das einmal so formuliert, als kleines Story-ABC. A, B, C … Aufbruch, Bewährung, Comeback. So funktioniert jede Geschichte. Wenn du das nicht hast, hast du irgendetwas, aber keine Story. Wir brechen aus einer gewohnten Welt auf, weil uns irgendetwas ruft oder drängt oder hinauswirft. Bewähren uns dann in der unbekannten Welt. Darum gehen wir so ungerne … weil das Unbekannt macht uns ja Angst. Was könnte denn da passieren? Darum bleiben ja so viele Menschen in der sogenannten Komfortzone oder in toxischen Beziehungen … weil, das kenne ich wenigstens. Mit dem kann ich wenigstens umgehen. Glaubt man halt. Aber irgendwann ist der Schmerz im Bestehenden so groß, dass die Angst vor dem Unbekannten kleiner ist als dieser Schmerz und dann bewährt man sich idealerweise. Lernt etwas und nimmt das Gelernte aus der Bewährung zurück in die alte Welt, teilt es mit seinem Volke und wächst daran. Das Comeback – A, B, C. Und das hat natürlich jeder in sich. Und wenn du dir die Kapitel oder Kapitelchen in deinem Leben anschaust, ist das immer das gleiche. So denkt das in uns. Und jedes große Heldenepos, jede Oper, jeder Roman, jede Rosamunde Pilcher Geschichte, jede Sitcom – naja, bei einer Sitcom gibt es keine Veränderung, sonst ist die Sitcom kaputt – aber im Prinzip funktioniert jede Geschichte genau so, weil das unser Betriebssystem ist: Aufbruch, Bewährung, Comeback. Weil wir wachsen müssen. Und das ist auch eine der großen, großen, großen, großen falsch erzählten Geschichten: die Geschichte der Selbstverwirklichung. Jeder kennt vermutlich die Pyramide von Abraham Maslow, die Bedürfnispyramide, die ja gar nicht von ihm ist. Die hat ja irgendein Unternehmensberater einmal gebaut. Von ihm ist die Hierachy of Needs, von Abraham Maslow. Also diese … dass ganz oben die Selbstverwirklichung steht. Und das streben ja alle an. Und das ist falsch. Das wusste auch Abraham Maslow. Er hat nämlich im Jahr seines Todes, 1970, diese Pyramide, diese Hierarchie-Leiter, ergänzt. Er hat zwischen drinnen noch die Kognition und die Ästhetik hineingegeben und über die Selbstverwirklichung hat er die Transzendenz gesetzt. Also das ‚über sich hinauswachsen‘, das ‚einen Beitrag zu etwas größerem leisten‘, andere beim Wachstum zu unterstützen. Und es heißt nicht umsonst Hierarchy of Needs und nicht Hierarchy of Possibilities. Das ist das, was wir Menschen brauchen. Das macht uns zu Menschen. Und genau an dieser Schnittstelle, zwischen der Selbstverwirklichung und der Transzendenz, da entsteht das Mensch-sein. Da entsteht die innere Geschichte. Und da brauchen die Menschen Unterstützung und idealerweise sind das die Eltern und die Tanten. Jeder braucht eine irre Tante … die braucht jedes Kind, oder? Finde ich halt. Ich hatte Gott sei Dank eine. Und für ein paar nicht nur Neffen bin ich die irre Tante. Es kann auch einen irren Onkel brauchen. Der irgendeinen Blödsinn redet und die Großeltern, die alles erlauben. Und it takes a village, heißt es so schön, to raise a child. Und da haben wir viel verloren in unserer Gesellschaft. Und die Lehrer hätten da eine reisen Aufgabe und viel zu wenig Zeit dafür, viel zu schlechte Ausbildung, viel zu wenig Anerkennung. Das sind so die heiligen Berufe. Und das sagt aber auch viel über unsere Gesellschaft aus, denke ich. Der Bauer, der uns nährt – das ist der einzige unersetzbare Beruf – der kann von seiner eigenen Arbeit nicht leben. Teilweise bis zu 80 % müssen die von Subventionen leben. Stell dir einmal vor, du kannst von deiner eigenen Arbeit nicht leben. Die Lehrer … Witzfiguren. Die Künstler, die unsere Seele nähren, bekommen € 3.500,00 im Durchschnitt. Im Monat? Nein, im Jahr. Außer du bist Autor, dann bekommst du € 2.500,00. Das ist das durchschnittliche Einkommen von Künstlern. Die Menschen, die unsere Seele nähren. Was sagt das über eine Gesellschaft? Was sagt es in der Gesellschaft, dass in der Pandemie, als systemrelevante Stores, waren die Tabaktrafiken offen und die Buchhandlungen zu. Wow. Das ist der Punkt, an dem wir heute stehen.

 

Marina Herzmayer:    Aber wenn wir genau diesen Punkt jetzt hernehmen und ich bin jetzt zum Beispiel 17 und sitze zuhause auf der Couch mit meinen Eltern und meine Großeltern, meine Familie leben weit entfernt. Und ich möchte diesen Schritt gehen. Ich möchte auch eine Story haben. Was würdest du denen raten?

 

Markus Gull:               Schau in dich hinein. Und das beste Fernrohr, mit dem du in dich hineinschaust, das ist nämlich ein Wundergerät. Das ist Fernrohr, eine Lupe und ein Mikroskop gleichzeitig. Und ein Kaleidoskop. Das sind Bücher. Wir sind jetzt … unsere Spezies Mensch … wir sind jetzt … 100 Milliarden waren auf dieser Welt. Wir sind jetzt 10 Milliarden, oder 9 Milliarden, die wir sind … machen die 100 Milliarden voll. Da ist alles schon gedacht worden. Viele haben über diese Gedanken Bücher geschrieben, in denen du nachlesen kannst. Die Klassiker. Lies Bücher. Versuche sie zu verstehen und nicht nur, dich unterhalten zu lassen. Und ich glaube, dass so Bücher wie Pippi Langstrumpf ganz wichtige Bücher sind. Bücher wie König Artus, die Legende. Und das ist ja nichts anderes als wie Star Wars und nichts anderes als wie Harry Potter; das ist ja dieselbe Geschichte. Und schau, was du daraus lernen kannst, wie sich diese Menschen verwandelt haben in ihre bessere Variante. Schau dir Filme an wie zum Beispiel Der Club der toten Dichter. Und schau sie dir immer wieder an. Lies Bücher. Das ist für 17-Jährige jetzt wahrscheinlich ein bisschen schwieriger, weil ihnen ganz einfach die Lebenserfahrung fehlt um einfach die Sachen zu verstehen. Aber ein ganz wunderbarer Mann, Steven Pressfield – jetzt mittlerweile gibt es das erste Buch auch auf Deutsch von ihm, The War of Art – schreibt über seine Erkenntnisse aus der Perspektive eines Autors, aber das ist universell gültig, wie er gelernt hat, seine Aufgabe anzunehmen und zu erfüllen. Und er hat sehr spät erst Erfolg gehabt. Ich glaube, da war er schon über 60. Der hat fünf Bücher, kleine Bücher, geschrieben, in denen man immer wieder lesen kann. Und das ist etwas ganz Wichtiges. Und dann – das klingt jetzt alles natürlich im Sagen recht einfach und das ist schwer – ich glaube, dass junge Menschen Mentoren brauchen, Vorbilder brauchen. Vorbilder, aber nicht im Sinne von Karriere, sondern menschliche Vorbilder und Mentoren. Und ein Mentor/eine Mentorin ist ein Mensch, der andere dabei unterstützt, ihre Ziele zu erreichen. Der nimmt dir nicht die Arbeit ab. Der hilft dir in den Sattel, aber reiten musst du selber. Der zeigt dir, wo die Angel steht, aber fischen musst du selber. Wenn du gegen die Wand rennst, macht der Mentor den Vorhang auf, dann kommt ein Licht herein und du siehst, wo die Tür ist. Solche Leute braucht jeder Mensch. Meine Mentoren waren hauptsächlich Bücher. Und das kann ich nur sehr empfehlen.

 

Marina Herzmayer:    Ich finde es auch immer wieder spannend Bücher nach Jahren noch einmal zu lesen, weil man sie mit ganz anderen Augen sieht.

 

Markus Gull:               Ja. Total, total.

 

Marina Herzmayer:    Mhm. Und kannst du jetzt dieses Storytelling, für das du ja sehr, sehr bekannt bist, könntest du sagen, dass man das auch für jugendliche Menschen als Hilfe nehmen kann, wenn es um ein Bewerbungsgespräch geht, um den Berufsweg zu finden? Kann man es da auch gut einsetzen für sich selbst?

 

Markus Gull:               Ja, ja. Klar. Also Storytelling, diese Handwerkskunst, die kann man ja lernen. Das ist bei uns, in unseren Breiten, komischerweise mit einem großen Mysterium … Bei uns weiß man, dass man Kunstfertigkeiten wie Komponieren oder Malen oder Bildhauerei … das kann man alles lernen. Beim Schreiben von Geschichten denkt man immer, man muss in einer feuchten Dachkammer sitzen und offene Tuberkulose haben und wenn man dann tot war, war es Kunst. So funktioniert das ... Das fällt vom Himmel herunter … was tatsächlich ja stimmt. Aber das ist wieder ein eigenes Thema, wo Ideen herkommen. Und das kann man lernen. Und ich weiß nicht mehr, ob das jetzt das World Economic Forum gesagt hat – ich weiß jetzt nicht mehr, wo es herkommt – die sagen zu den 21st Century skills, gehört Storytelling dazu. Warum? Weil Geschichten … mit Geschichten führt man. Führt man sein Leben, führt man Teams, führt man Organisationen … I have a dream heißt ja auch I have a dream und nicht I have a concept paper mit 142 PowerPoint-Folien. Sondern: I have a dream. So führt man Gesellschaften, Teams. Mit einer Vision. Und so führt man idealerweise sein Leben. Und wenn man sein Leben nicht führt – und das ist ja das, was wir heute dauernd erleben – dann werden wir geführt und verführt. Zum Konsum, weil wir glauben, dass, wenn man das noch hat, dann löst man ein anderes Problem. Das stimmt ja alles nicht. Sondern, wenn man von innen eine Flamme hat, die einen erleuchtet, dann entsteht das, was man – Zufriedenheit ist jetzt das falsche Wort, mir fällt jetzt aber keine besseres ein – was Erfüllung ist; wenn man weiß: darum bin ich da. Und das ist naturgemäß für 17-Jährige sehr schwer sich das selber beizubringen. Aber es gibt auch gute Bücher, wenn man sagt, wie kann ich ein Bewerbungsgespräch führen. Und da muss man eines wissen – und das machen die meisten falsch; die meisten Unternehmen machen das auch falsch. Wenn du auf die Website schaust, steht als erstes wer wir sind und was wir können. Und das ist der größte Fehler. Das interessiert doch niemanden. Das interessiert doch mich nicht. Es interessiert doch jeden immer nur: Was habe ich davon? Es googelt doch niemand: Was macht die Marina? Sondern jeder googelt: Ich brauch eine tolle Moderatorin. Oder?

 

Marina Herzmayer:    Mhm.

 

Markus Gull:               Und jetzt wissen wir, wie das Bewerbungsgespräch funktioniert. Was kann ich beitragen? Also ich als zukünftiger Mitarbeiter/Mitarbeiterin – ich bin ja quasi dann wieder Mentor – was kann ich zu deinem Erfolg beitragen? Und so führt man Bewerbungsgespräche. Der Literaturnobelpreisträger John Stanback hat das wirklich toll auf den Punkt gebracht. Der hat gesagt: „Wenn eine Geschichte nicht vom Zuhörer handelt, wird er nicht zuhören. Und eine Geschichte, die groß werden soll und Bestand haben soll, die handelt von uns allen.“ So, und wenn man das weiß, dann weiß man, aus welcher Perspektive man ein Bewerbungsgespräch führt. Indem man sagt: „Dieses tolle Unternehmen kann noch toller werden, wenn ich das einbringe, was ich kann.“ Das ist ein Bewerbungsgespräch. Und da höre ich dann zu als zukünftiger Arbeitgeber.

 

 

Marina Herzmayer:    Und gibt es diese klassischen … Hast du drei Fragen, egal wie alt … ob 13, ob 20, ob 40, ob 70 … Der sagt, ok, ich will das schaffen und ich will meine Story kennenlernen und meine Werte kennenlernen. Gibt es so drei Grundfragen oder so eine Basis, die man sich stellen kann, um dem ganzen einmal einen Einstieg zu gewähren?

 

Markus Gull:               Mhm. Also frag dich einmal, was ist dir so viel wert, dass du etwas anderes dafür aufgeben würdest? Dass du deine Zeit investieren würdest. Die meisten Menschen denken: Wofür würde ich Geld ausgeben? Ist auch oft ein Signal dafür, aber Geld wird ja immer mehr. Jeder Trottel kann mehr Geld verdienen. Aber die Zeit wird auch von einem Genie immer weniger. Also ist die Frage: Wo würde ich meine Lebenszeit hin investieren? Was würde ich machen, auch wenn ich nicht dafür bezahlt werde? Für mich ist das ganz klar. Würde ich jetzt den Supermillionen-Jackpot knacken – also vorausgesetzt ich würde spielen; das ist die Einstiegshürde immer – und ich würde Milliarden gewinnen … Ich würde das gleiche machen wie jetzt. Und zwar am nächsten Tag weitermachen, nur mit einem größeren Wirkungshebel logischerweise. Aber ich würde nicht zum Arbeiten aufhören, weil ich ja nicht arbeite, [lacht] wie wir gelernt haben.

 

Marina Herzmayer:    [lacht]

 

Markus Gull:               Also was würdest du machen, wenn du allen Mut der Welt und alles Geld der Welt hättest? So. Das ist schon einmal ein gutes Signal. Die zweite Frage, die du dir stellen kannst: Wo glaubst du, kannst du einen Beitrag leisten, den niemand anderer leisten kann? Wo du das Gefühl hast: Das sollte ich tun. Weil, das kann deine Aufgabe sein. Das ist die zweite Frage. Und das dritte ist natürlich eine ganz wichtige Frage: Was macht mir eine große Freude? Was tue ich gerne? Das ist nicht immer das gleiche, was man gut kann. Das weiß man oft, wenn man Kinder oder Menschen hört, die ein Instrument lernen [lacht] aus der Nachbarwohnung oder aus seinem eigenen Zimmer heraus, dass das nicht das gleiche ist. Aber das ist schon gut, dass man eine Freude auch dabei empfindet. Und das kann man wirklich in unterschiedlichsten Berufen auch haben. Mir ist unerklärlich, dass Menschen gerne Buchhaltung machen. Aber die gibt es tatsächlich, Gott sei Dank. Und da fällt mir dann auch der Satz von Viktor Frankl, eigentlich von Nietzsche, ein. Der Viktor Frankl hat seine ganze wunderbare Wissenschaft darauf gegründet … ‚Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie‘. Also wenn du weißt, warum du das machst, dann machst du auch die anderen Sachen bereitwillig, die halt überall dazugehören. Und dann trainierst du auch. Man darf dann auch nicht sich verwechseln, wenn man sagt, ich möchte jetzt – um bei einem plakativen Beispiel zu bleiben – die beste Tennisspielerin der Welt zu werden, dann darfst du dich nicht mit der Venus Williams verwechseln, wie sie jetzt ist, sondern da musst du dich mit der vergleichen wie sie war, wie sie auch angefangen hat. Weil sonst wirst du nur unglücklich werden. Und daraus lernen, wie die Leute ihren Weg gegangen sind. Und das ist der nächste, der dritte, Punkt: Hör auf, dich zu vergleichen. Hör auf, dich zu vergleichen. Lerne von Wegen, aber vergleiche dich nicht mit Erfolg und schon gar nicht bitte mit dem auf Instagram und TikTok, mit diesen geschönten Sachen. Weil wir, um bei der Venus Williams zu bleiben, du siehst nicht wie die trainiert und kämpft. Du siehst immer nur, wie sie siegreich vom Platz geht. Du siehst bei der Adele wie sie glänzt und singt, aber du siehst nicht, dass sie jeden Tag das Singen übt, et cetera, et cetera. Und den Schweiß und die Niederlagen, et cetera. Genauso wie du bei einem Säugling – und wenn du einmal ein Neugeborenes siehst, kaum eines schaut schön aus – aber das ganze Potential ist schon drinnen. Selbst der schönste Mensch der Welt, den du heute so anschaust, war als Säugling wahrscheinlich … Ich weiß net [lacht] … Aber das ganze Potential ist drinnen. Und unsere Lebenswege, das sind Raupen. Und eine Raupe ist kein verkleinerter Schmetterling. Das ist ein noch nicht verwandelter Schmetterling. Das muss man immer wissen.

 

Marina Herzmayer:    Und Raupen sind tolle Tiere [lacht]

 

Markus Gull:               Tolle Tiere, ja.

 

Marina Herzmayer:    Was ich jetzt auch ganz spannend finde … Wir waren jetzt sehr viel mit welche Stories kenne ich von mir und welche Stories erzähle ich von mir? Aber was ja auch ein spannender Bereich ist: Welche Stories erzähle ich mir selbst von mir? Dieses mit sich selbst reden, welche Bedeutung hat das in dem ganzen Konzept?

 

Markus Gull:               Total. Wir sind unser erstes Publikum. Max Frisch hat das so knapp gesagt: „Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.“ Das sind alles nur Geschichten, die wir uns erzählen. Alles nur Geschichten. Das ist ja dieses Faszinosum. Wenn man das einmal verstanden, oder sich angenähert hat, an dieses Faszinosum, dann lässt einen das ja nicht mehr los. Und man weiß zum Beispiel, wenn sich Menschen verändern, wenn sich Beziehungen verändern, also jetzt Beziehungen im engeren Sinn oder auch Arbeitsbeziehungen, dass du denkst, ich muss wo anders arbeiten, dann veränderst du zuerst den sogenannten Narrativ darüber. Was du dir über diesen Platz … Und dann … Also das ist immer so. Und darum ist diese Geschichte, die wir uns selber erzählen, weil das … Und wie du deinen Tag beginnst ist ja schon … Also deinen Tag beginnst du ja schon am Vorabend, logischerweise. Wie du ins Bett gehst, so beginnt ja der nächste Tag. Weil wenn du 15 Bier getrunken hast, fängt der nächste Tag anders an als wie, wenn du um neun Uhr ins Bett gehst und ein bisschen Kamillentee und Melissengeist dir in den Schlummertrunk gemischt hast. Und wenn du den Tag beginnst und dich sammelst und ruhig bist und dir die Geschichte sagst: „Jetzt beginnt ein neuer Tag und ich erfülle meine Aufgabe und ich freue mich darauf. Und jetzt schauen wir einmal, was ich dazu beitragen kann.“, dann hast du dir eine andere Geschichteneröffnung erzählt, als wie, wenn dein erster Griff zum Handy ist und schaust, welche Nachrichten gekommen sind und dass du wieder weniger Likes oder dieses oder jenes bekommen hast. Das ist ja furchtbar. Darum, Handy einmal hinaus aus dem Schlafzimmer. Das hat dort nichts verloren. Es gibt zum Beispiel Wecker, ganz günstige, um € 4,90 sieht man die immer wieder, mit Zeigern. Da kann man auch schauen, wie spät es ist. So, und diese inneren Geschichten – siehe vorher auch gesprochen – womit vergleiche ich mich? Die sind extrem wichtig. Mit dem erzählen wir uns selber, was wir tun sollen, wo wir hingehören, wo wir hingehören wollen, wo wir nicht hingehören, was wir sein wollen. Das wichtigste Publikum sind wir selbst für unsere Geschichte.

 

Marina Herzmayer:    Was ich jetzt auch spannend finde, vielleicht noch einmal passend zur Raupe, die zum Schmetterling wird. Jetzt bezeichne ich dich vorab schon als Schmetterling [lacht]

 

Markus Gull:               [lacht]

 

Marina Herzmayer:    Achtung was jetzt kommt. Ich finde ja auch bei dir in deiner Story ist es genau das: Es gab Höhen und Tiefen; es ist nicht eine lineare Strecke gewesen. Du hast Firmen gegründet, die nichts geworden sind. Du bist zwei Mal im Burnout gewesen, was ja wirklich eine große Sache ist. Musste dir das passieren?

 

Markus Gull:               Ich glaube schon. Sonst hätte ich es nicht verstanden. Ich habe einmal, also da war ich so am Weg ins zweite Burnout, das war so die Zwischen-Burnout-Zeit, da habe ich einmal so eine Existenzangst-Phase gehabt und das war die Zeit wo ich beruflich, wirtschaftlich so erfolgreich war wie nie zuvor und nie danach. Also es gab faktisch keinen Grund für Existenzangst. Tatsächlich gab es einen: Ich hatte keine Existenz. Ich habe mein Leben nicht gelebt. Ich wusste das nur nicht. Und es ist halt die Wahrheit, du wirst so oft, ich glaube das ist die Energie die das Leben, wenn man so will und ich meine das jetzt gar nicht esoterisch, aber das sind einmal die Energien, die herumschwirren. Die merkst du ja, wenn dich jemand von hinten anstarrt und plötzlich drehst du dich um. Das ist ja Energie, das ist ja nichts anderes. Dass uns das Leben halt so oft oder wir uns selber in Situationen bringen, bis wir verstanden haben, das ist gut und das ist nicht gut für mich. Das ist ja nicht nur negativ. Gewisse Muster wiederholen sich ja im positiven Sinne auch. Und weil wir lernen müssen. Und ich glaube, hätte ich es beim ersten Mal schon verstanden, dass das verkehrt ist, was ich mache und das nicht zu mir gehört, hätte ich es beim zweiten Mal nicht noch einmal gemacht. Und ich würde es wahrscheinlich ein drittes und ein viertes Mal wieder falsch machen. Definitiv. Hätte ich es nicht verstanden. Und das heißt aber noch lange nicht, dass man dann draußen ist aus der Nummer. Man hat es nur verstanden und man weiß, was ein Gefahrenpegel ist. Das ist so wie man oft sagt, wenn du geraucht hast und nicht mehr rauchst, bist du nicht Nichtraucher, sondern Raucher auf Urlaub. Du musst immer aufpassen. Das sind deine Muster; die sind in dir drinnen. Und ich glaube das musste mir passieren. Und das geht jedem so. Das kennt man ja auch, diese Alltagssage: „Ja, die oder der verliebt sich immer wieder in den gleichen Typ Partner.“ Bis man dann einmal verstanden hat, dass das etwas ist, dass das Problem nicht am Partner liegt, sondern an dir. Und das ist auch etwas, das wir aus Stories lernen. Was ist denn der wirkliche Gegner, der besiegt werden muss? Und da gibt es zwei Geschichten, die in Wirklichkeit dieselbe Geschichte sind: Aschenputtel und Rocky. Dieselbe Geschichte. Rocky, also Rocky I, wo dieser am Rande der Gesellschaft, also nicht dazugehörige Typ, die Chance bekommt, in einem Jux-Kampf gegen den amtierenden Box-Weltmeister anzutreten und in einem Unentschieden plötzlich bejubelt wird. Und dieser Typ … und die Geschichte heißt: „Du bist liebenswert, aber du musst dich zeigen.“ Und den Kampf hat er nicht geführt gegen den amtierenden Box-Weltmeister, sondern gegen sein geringes Selbstwertgefühl. Da sagte er dann vorher auch: „Wenn ich es schaffe, diese 15 Runden zu überstehen, dann habe ich endlich bewiesen, dass ich kein Niemand bin.“ Das ist die Geschichte von Rocky. Und das gleiche ist die Geschichte von Aschenputtel. Sie fühlt sich ungeliebt; Mutter gestorben; Vater heiratet wieder diese böse Stiefmutter mit den bösen Stiefschwestern; sie fühlt sich ungeliebt, aber sie muss sich zeigen. Und zwar am Ball des Prinzen. Ihre Mentorinnen, die Tauben und die gute Fee, geben ihr das Kleid und der Prinz sucht sie dann sogar und weiß, das ist die Richtige, obwohl sie dann wieder das Aschenputtel ist. Du musst dich zeigen. Du bist liebenswert. Einmal ist es der Ball des Prinzen, einmal ist es der [lacht] Watschentanz gegen Apollo Creed. Aber das Überwinden heißt, dieses Du bist liebenswert mein Kind. Rocky, mein Kind und Aschenputtel. Und das ist der Sieg gewesen und das muss man lernen. Und wenn man das nicht lernt, kannst du 100.000 Boxkämpfte und 100.000 Prinzenbälle besuchen, bis du es endlich verstanden hast.

 

Marina Herzmayer:    Ein Punkt dabei ist ja oft auch die Angst. Die Angst vor dem was kommt, aber auch vor dem, was nicht kommt. Oder eben, wie du gesagt hast, vor dem, was man zurücklässt. Wie bist du mit dieser Angst umgegangen? Du hast so viele Weggabelungen gehabt, wo du dich entscheiden musstest. Wo du … deinen Weg so gemacht hast. Wie hast du es gemacht?

 

Markus Gull:               Ich habe mir etwas … Richard Branson hat diesen Satz geprägt: „Screw It, Let’s Do It“. Er blieb drauf [lacht]. So etwas habe ich in mir. Das hat mich immer angetrieben. Das war nicht immer die beste Idee, muss ich sagen. Aber das ist so in mir. Ich habe gesagt: „Jetzt gehen wir aufs Ganze. Wir gehen aufs Ganze. Wir machen keine halben Sachen, wir gehen aufs Ganze. Wir probieren es aus.“ Oft ist es gut gegangen; nicht immer. Das Thema Angst ist ein ganz interessantes. Wenn du aufbrichst aus deiner gewohnten Welt, hast du ja oft vor der Angst, Angst. Die meisten Dinge, vor denen wir Angst haben, die allermeisten Dinge, passieren sowieso nicht. Ganz selten geht das, wirklich viel. Dann bin ich damit umgegangen, dass ich mir gedacht habe, das schlimmste was passieren kann … Was ist das schlimmste? Und ich bin ganz oft draufgekommen, wenn das schlimmste passiert, ist das eigentlich auch nicht so wahnsinnig schlimm. Also wir können es riskieren. Und dann habe ich zwei Sachen verstanden … ahm, drei Sachen. Das eine ist der Aufbruch ins Unbekannte ist nicht so sehr die Angst … Also die Angst vor dem Unbekannten ist nicht so sehr die Angst ‚Was kann denn da passieren?‘, sondern die Angst vor dem Unbekannten. Zweitens: Es gibt nicht nur die Angst vor dem Scheitern, sondern ganz große Angst, die wir haben – unterbewusst, und es wissen viele nicht was passiert, wenn es uns gelingt … Stell dir vor du hast jetzt plötzlich irrsinnigen Erfolg mit deiner Arbeit. Was passiert denn dann? Dann bist du alleine. Dann bist du separiert von deiner – und zwar auf immer – von deiner Herde, wo du dazugehörst. Weil du plötzlich anders bist wie die anderen. Und vor dem haben wir auch eine irrsinnige unterbewusste Angst. Stell dir vor du bist eine Sportlerin, erfolgreich als Künstlerin, erfolgreich als Unternehmerin, erfolgreich im Team … deine Freunde, deine Peers, und plötzlich machst du eine Karriere. Plötzlich bist du Vorgesetzte von den anderen. Dann bist du separiert von denen. Und das macht uns ja so ein ... Da ist in unserem Gehirn noch immer dieses Sicherheits-Suchen. Das macht uns ja so eine Angst. Und der Umgang damit ist einmal das wichtigste, dass du es identifizierst. Was ist es denn? Und schon in dem Augenblick ist es viel, viel weniger bedrohlich. Meine Erfahrung … und mein Umgang damit.

 

Marina Herzmayer:    Spannende Ansicht. Ich glaube, da fühlen sich jetzt manche ertappt. So als großes Ziel, würdest du sagen, kann man sagen, es ist so der Weg zur Glückseligkeit das zu machen, was wirklich im Herzen drinnen ist?

 

Markus Gull:               Glückseligkeit … Ich glaube so gut wie du die Fragen stellst, spielst du jetzt auf den Josph Campbell an, oder? Follow your bliss – Folge deiner Glückseligkeit. Glückseligkeit ist ein komisches Wort. Bliss ist eigentlich … wir haben im Deutschen kein so gutes Wort dafür. Joseph Campbell ist einer meiner Privat-Heiligen. Ein weiser Mann; tolle Bücher; schwer zu lesende Bücher. Der Heros in tausend Gestalten – The Hero with a Thousand Faces und viele andere Bücher auch. Mythologie von Geschichten … Kann ich jedem empfehlen. Aber es sind wirklich schwer zu lesende Bücher. Also nicht leicht zu lesen … schwer sind sie auch nicht. Aber nicht leicht zu lesen. Und man liest in diesen Büchern. Das ist auch so ein wichtiger Punkt. Gerade bei Sachbüchern. Man liest ja die meisten Sachbücher ja nicht von vorne nach hinten, sondern man liest in ihnen. Das ist so ein … Er hat ein paar, ganz viele, weise Sätze. Aber so zentrale Sätze wie Folge deiner Glückseligkeit. Wenn du einmal verstanden hast, wo ist deine Aufgabe? Wo ist dein Ruf? Wenn du den Ruf hörst und annimmst, dann folge ihm. Das ist das beste, was du für dich tun kannst. Und sehr oft handelt dieser Ruf davon, andere dabei zu unterstützen, etwas zu erreichen. Also das ist sehr oft der Weg zur Glückseligkeit. Das weiß man aus der Glücksforschung, dass man nichts Besseres für das eigene Glück tun kann. Der zweite Satz von Joseph Campbell, der so wichtig ist, heißt: Wir müssen bereit sein das Leben, das wir geplant haben, auszulassen, um für das bereit zu sein, das auf uns wartet. Da ist der bliss, die Glückseligkeit. Und dem zufolge ist es schwer, weil es mit sehr viel Unsicherheit verbunden ist. Weil niemand weiß, ob es gelingt. Und das Scheitern und das Gelingen sind gleich wahrscheinlich. Aber man weiß auch, dass, wenn Menschen am Sterbebett liegen, und Dinge bereuen, dann bereuen die meisten nicht Sachen, die sie gemacht haben, sondern die, die sie nicht gemacht haben. Follow your bliss.

 

[Musik]

 

Marina Herzmayer:    Vielen herzlichen Dank, Markus Gull.

 

Markus Gull:               Danke dir.

 

Marina Herzmayer:    Herzlichen Dank an unsere Zuhörerinnen und Zuhörer. Wenn euch der Podcast gefallen hat, dann bewertet ihn gerne auf Apple Podcast oder Spotify. Und wenn ihr der Meinung seid, diese Folgen sollten mehr Menschen zu hören bekommen, dann empfehlt unser Format gerne weiter.

 

[Musik klingt aus]