Zukunftschancen

Personalmangel trotz Digitalisierung und KI – mit Rainer Strack

Episode Summary

Rainer Strack ist einer der vierzig führenden Köpfe im Personalwesen in Deutschland. Er ist 57 Jahre alt, Senior Advisor und ehemaliger Managing Director bei der Boston Consulting Group, wo er das Geschäftsfeld Human Resources aufgebaut hat. Er ist für seinen TED-Talk über die Zukunft der Arbeitswelt mit über zwei Millionen Seher/innen weltweit bekannt. Rainer Strack ist außerdem Doktor der Theoretischen Physik und kann erklären, was für die wirtschaftliche Impulserhaltung wichtig ist. Durch das Gespräch führt Marina Herzmayer. Dieser Podcast wird präsentiert vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft.

Episode Notes

Rainer Strack ist einer der vierzig führenden Köpfe im Personalwesen in Deutschland. Er ist 57 Jahre alt, Senior Advisor und ehemaliger Managing Director bei der Boston Consulting Group, wo er das Geschäftsfeld Human Resources aufgebaut hat. Er ist für seinen TED-Talk über die Zukunft der Arbeitswelt mit über zwei Millionen Seher/innen weltweit bekannt. Rainer Strack ist außerdem Doktor der Theoretischen Physik und kann erklären, was für die wirtschaftliche Impulserhaltung wichtig ist. Durch das Gespräch führt Marina Herzmayer.
Dieser Podcast wird präsentiert vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft.

Episode Transcription

[Intro-Musik]

 

Marina Herzmayer:    Mein heutiger Gast ist einer der vierzig führenden Köpfe im Personalwesen in Deutschland. Rainer Strack ist 57 Jahre alt, Senior Advisor und ehemaliger Managing Director bei der Boston Consulting Group, wo er das Geschäftsfeld Human Resources aufgebaut hat. Er ist für seinen TED-Talk über die Zukunft der Arbeitswelt mit über zwei Millionen Seher/innen weltweit bekannt. Rainer Strack ist außerdem Doktor der Theoretischen Physik und kann uns erklären, was wir für die wirtschaftliche Impulserhaltung noch machen können.

Mein Name ist Marina Herzmayer und ich führe heute durch dieses Gespräch.

 

[Musik]

 

Rainer Strack:            Vielen Dank für die nette Einführung, Frau Herzmayer. Das macht mich ganz verlegen. Vielleicht ein Detail, das Sie noch nicht erwähnt haben … aber das ist im österreichischen Kontext vielleicht wichtig: Ich bin noch ausgebildeter Skilehrer im Deutschen Skiverband; so ähnlich wie Sie auch, Frau Herzmayer. Allerdings würden sicherlich die Österreicher sagen, dass die Deutschen überhaupt kein Skifahren können. Nichtsdestoweniger freue ich mich sehr auf das gemeinsame Gespräch.

 

Marina Herzmayer:    [lacht] Vielen herzlichen Dank. Das war definitiv ein Detail, das ich noch nicht wusste. Ja lieber Herr Strack, danke, dass Sie sich die Zeit für unser Gespräch nehmen. Zeit, von der Sie ja hoffentlich seit dem neuen Jahr etwas mehr haben, oder?

 

Rainer Strack:            Ja, zu dem Thema Zeit gibt es eine kleine Geschichte. Ich habe am 4. Oktober 1994 bei BCG (Boston Consulting Group) angefangen. Mein schlimmster Tag bei dieser Firma. Ich saß in einem Projektauftaktmeeting – wir nennen das bei BCG (Boston Consulting Group) Kick-off-Meeting – ich entschuldige mich schon im Voraus für den einen oder anderen Anglizismus. Also ich saß in diesem Kick-off-Meeting zu dem Thema Time-Based competition – also es ging um Zeitwettbewerb bei einem Maschinenbauunternehmen. Der Kunde mochte uns nicht und als theoretischer Physiker hatte ich überhaupt keine Ahnung von der Industrie, noch von dem Thema Time-Based competition. Also an diesem Abend fiel ich in das Hotelbett und dachte: „Rainer, das war der größte Fehler deines Lebens. Wärst du doch in der Physik geblieben.“ Nun, 27 Jahre später, bin ich unheimlich dankbar für die einzigartigen Erfahrungen hier bei BCG (Boston Consulting Group). Das war sicherlich eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Trotzdem habe ich mich entschlossen, nun … ich würde sagen als Sportler abzutrainieren und zeitlich runterzufahren. Es gibt hier bei BCG (Boston Consulting Group) die tolle Möglichkeit des Senior Advisors und Senior Partner Emeritus mit reduzierter Kapazität. Zeit, glaube ich, ist eine knappe Ressource. Wir haben vielleicht 30.000 Tage auf dieser Erde … einige mehr, andere weniger. Was machen wir mit dieser Zeit? Worauf verwenden wir sie? Insbesondere unsere Wertschöpfungszeit … im Englischen würden wir das value-added time nennen. Was ist eigentlich Wertschöpfungszeit? Tatsächlich waren das genau die Fragen in meinem ersten Fall damals, zu Time-Based competition. Damals aber mit Fokus ‚Unternehmen‘; hier jetzt mit Fokus ‚eigenes Leben‘.

 

Marina Herzmayer:    Das ist sehr schön. Das heißt, Sie genießen dieses leichte Herabfahren dieser Zeit oder das Hinauffahren Ihrer Zeit, das Sie jetzt schon für Ihr privates Leben haben?!

 

Rainer Strack:            Genau. Man macht sich Gedanken über so eine Art Portfolio von Aktivitäten. Also ich werde Senior Advisor, Senior Partner Emeritus, dann bin ich noch als Professor an der Universität tätig, dann bin ich in verschiedenen anderen Aktivitäten tätig und letztendlich ist das so eine Art Portfolio von Aktivitäten, die ich mir vorgenommen habe.

 

Marina Herzmayer:    Ich sehe schon … von Langeweile keine Spur [lacht]. Lassen Sie uns noch ein paar Jahre zurückschauen. Sie haben gesagt 27 Jahre in der Firma und auch noch einige Jahre dazu. Es heißt ja immer, alles was man lernt, hat irgendwo irgendwann seinen Sinn. Jetzt würde es mich doch interessieren … Sie haben sich auf den Bereich der Human Resources spezialisiert … was hat Ihnen das Studium der theoretischen Physik dazu gebracht?

 

Rainer Strack:            Also, wenn man mir 1994 gesagt hätte, dass ich einmal das HR-Team (Human Resources-Team) bei BCG leiten würde, dann hätte ich ihn oder sie für absolut verrückt gehalten. HR (Human Resources) ist für mich das unanalytischste Thema, also das am wenigsten mit Zahlen zu tun habende Thema. Und als theoretischer Physiker liebt man Zahlen. Also wie kam ich dazu? 1998 hatte ich ein Projekt bei einem großen Konglomerat zum Thema Finanzkennzahlen geleitet. Und damals fragte uns der Kunde: „Können Sie nicht so etwas Ähnliches auch auf der Personal-Seite – also auf der HR(Human Resources)-Seite – machen?“ Und da kamen mein Kollege und ich auf die Idee, Spiegelkennzahlen auf der Personal-Seite zu den Finanzkennzahlen abzuleiten. Das konnte man sehr systematisch, symmetrisch ableiten. Und ein Physiker liebt die Symmetrie, weil viele Naturgesetze einfach symmetrisch sind. Wir veröffentlichten damals diese Erkenntnisse, gewannen den Erich-Gutenberg-Preis, schrieben sogar den Leitartikel für das Harvard Business Review zu diesem Thema und plötzlich war HR (Human Resources) eines der dominanten Themen bei mir. Am Ende fragte man sich bei diesen Kennzahlen, für welche Unternehmen die eigentlich geeignet oder besser sind als die Finanzkennzahlen. Und da machten wir eine ganz spannende Analyse: Wir haben uns die Personalkosten und die Kapitalkosten der DAX 30-Unternehmen angeschaut; also der dreißig größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland. Und haben uns letztendlich Kapitalkosten und Personalkosten dafür berechnet. Und wenn die Kapitalkosten größer sind als die Personalkosten, bin ich eigentlich in einer kapitalintensiven Welt und es kommt vor allem darauf an, dass ich die richtigen Investitionen tätige, dass ich meine Läger vernünftig manage et cetera. Aber wenn die Personalkosten größer sind, bin ich eigentlich in der personalintensiven Welt. Und da kommt es vor allen Dingen auf gute Personalarbeit an. Wir nennen solche Unternehmen bei BCG (Boston Consulting Group) People Businesses. Und siehe da … von den DAX 30-Unternehmen waren fast alle – bis auf einige Energieunternehmen – auf der personalintensiven Seite … sie sind People Businesses. Und das gilt für fast alle Unternehmen. Und da spielt der Personalvorstand eigentlich eine wichtigere Rolle als der Finanzvorstand. Also ich bin eigentlich durch dieses analytische Thema zu HR (Human Resources) gekommen. HR (Human Resources) ist für mich einer der am wenigsten zahlengetriebenen Bereiche und da kann man sicherlich durch Zahlen, durch Analytik, durch Struktur einiges an neuen Erkenntnissen herbeirufen.

 

Marina Herzmayer:    Schön, wie Sie die beiden Sachen im Endeffekt verbunden haben. Sie haben ja wirklich in den ganzen Jahren, in denen Sie bei der Boston Consulting Group gewesen sind, sehr sehr viele Entwicklungen in der Arbeitswelt miterlebt, aber auch viele Prozesse und Studien dazu initiiert. Was waren denn für Sie die Erfolgreichsten, oder die, die Sie auch am spannendsten oder überraschendsten gefunden haben?

 

Rainer Strack:            Also neben diesem Leitartikel damals im Harvard Business Review 2005 haben wir nochmals einen Zweiten schreiben dürfen. Damals zu dem Thema ‚strategische Personalplanung‘. Die Idee ist die Folgende: Die meisten Unternehmen haben eine sehr auselaborierte Finanzplanung. Aber auf der Personalplanungs-Seite ist das meistens ein Stückwerk. Es wird einfach nur die Kopfzahl geplant und das war es. Und das haben wir ein bisschen anders gemacht. Wir haben uns geschaut, wenn ich jetzt ein Unternehmen mit 1.000 oder 10.000 Mitarbeitern habe, haben wir die unterteilt in einzelne – wir nennen das – Jobfamilien. Und für diese Jobfamilien haben wir uns angeschaut, wie sich eigentlich der Personalbestand in den nächsten 5 bis 10 Jahren entwickelt … durch Rentenabgänge, durch Fluktuation … und wie sieht der Bedarf aus, abhängig von Strategie, von technologischen Veränderungen et cetera. Und dann haben wir uns Bedarf minus Bestand angeschaut und konnten sehen, wo es Unterdeckung und Überhänge gibt. Und das war ganz spannend. Für Unternehmen, trotz demografischen Herausforderungen, habe ich sicherlich in manchen Bereichen große Unterdeckungen aber in anderen Bereichen auch große Überhänge. Das heißt, aus dieser strategischen Personalplanung konnten wir dann ganz viel der klassischen Personalarbeit viel systematischer ableiten: Wo muss ich rekrutieren? Wo muss ich qualifizieren? Wo muss ich trainieren? Wo muss ich vielleicht auch Themen nach draußen bringen? Oder wo muss ich vielleicht auch Personal abbauen? Und das Ganze haben wir dann auf ganze Länder übertragen. Und das mündete 2014 auch in einer Studie zum Thema Global Workforce Crises, die dann auch wesentlicher Bestandteil meines TED-Talks geworden ist: Wie entwickeln sich ganze Länder auf der Personalseite?

 

Marina Herzmayer:    Genau darüber wollte ich jetzt ohnedies mit Ihnen sprechen. Werfen wir einen kurzen Blick zurück auf 2014. Also Sie haben, wie schon angesprochen, den TED-Talk in Berlin halten dürfen, zum Thema Global Workforce Crises, also quasi der Arbeitskräftekrise … Was verstehen Sie jetzt ganz konkret darunter?

 

Rainer Strack:            Sie haben ja am Anfang gesagt, dass ich 57 Jahre alt bin; im letzten November geworden, muss ich sagen. Das heißt, ich bin 1964 in einer kleinen Stadt in Südwestfalen geboren. Es war jedenfalls da in diesem November ein grauer Novembertag und die Geburtsstation war völlig im Stress, weil damals sehr viele Babys geboren wurden. Tatsächlich war 1964 das Jahr in Deutschland mit der höchsten Geburtenrate, die es je gegeben hat … mehr als 1,3 Millionen. Im letzten Jahr hatten wir gerade einmal die Hälfte. Also wenn diese ganzen Babyboomer in den nächsten Jahren in Rente gehen, dann ist das wie ein Tsunami. Der schlägt über und wird zu großer Personalknappheit auf der Arbeitskräftebestands-Seite führen. Das ist aber nur ein Teil der Medaille. Genauso wie bei strategischer Personalplanung. Wir wollten uns damals als Zweites ansehen, wie eigentlich der Arbeitskräftebedarf aussieht. Also nicht nur das Angebot, sondern auch der Bedarf. Was braucht denn ein Land? Und jetzt wird es heikel. Wie Sie vielleicht wissen, ist die Standardantwort eines Beraters auf irgendeine Frage: „Es hängt davon ab.“ Also ich würde auch hier sagen: „Es hängt davon ab.“ Wir wollten nicht die Zukunft voraussagen … viel zu spekulativ. Sondern wir haben uns etwas anderes angeschaut. Wir haben uns das Wachstum des BIP (Bruttoinlandsprodukt) von Deutschland und das Wachstum der Arbeitsproduktivität der letzten zehn Jahre angeschaut und haben folgendes Szenario gerechnet: Wenn Deutschland in der Zukunft genauso wachsen will, mit der gleichen Steigerung der Arbeitsproduktivität, wie in den letzten Jahren, dann konnten wir daraus relativ einfach berechnen, wie viele Mitarbeiter denn für dieses Wachstum notwendig sind … der Arbeitskräftebedarf. Und als wir dann Arbeitskräftebedarf und Arbeitskräfteangebot gegenüberstellten, dann sahen wir auf einmal eine große, in Millionengröße letztendlich stattfindende Lücke an Mitarbeitern in Deutschland. Das heißt Deutschland braucht im Jahr 2030 Millionen von Mitarbeitern. Und dann haben wir die gleiche Logik für viele andere Länder gemacht und in vielen anderen Ländern sah das auch so aus. Das heißt wir werden – und das war damals 2014 die Erkenntnis – in eine große Personalknappheit hineinlaufen.

 

Marina Herzmayer:    Jetzt sind seither einige Jahre vergangen. 2014 bis 2022. Was hat sich denn in der Zwischenzeit alles verändert? Sie haben bestimmt in der Zwischenzeit weitere Studien gemacht. Und gerade was das Thema Digitalisierung betrifft würde es mich interessieren. Denn ich kann mich erinnern an Februar 2020. Ich habe einen Digitalisierungs-Kongress moderiert, und da war alles noch so: „Ja, ich weiß, wir sollten das machen.“ Und drei Wochen später war es Realität, es war da und es hat uns alle überrollt. Was hat sich in der Zwischenzeit denn alles getan auf diesem Sektor?

 

Rainer Strack:            Also als wir damals im Jahr 2014 die Analyse publiziert haben und auch als ich meinen TED-Talk gegeben habe – da bekommt man ja auf Social Media unheimlich viel response –kam dann doch größerer Widerstand auf. So nach dem Motto: 2030 wird die Maschine alles übernehmen, Künstliche Intelligenz, Roboter werden zu einer Massenarbeitslosigkeit führen und ich werde überhaupt keine Personalknappheit haben, ganz im Gegenteil. Das sieht man acht Jahre später anders, muss man sagen. Natürlich wird Künstliche Intelligenz massive Veränderungen nach sich ziehen, auch die Digitalisierung massiv. Also gerade jetzt durch Covid sind wir zehn Jahre in unsere digitale Zukunft katapultiert worden. Aber es wird nicht so sein, dass wir in den nächsten zehn Jahren in eine Massenarbeitslosigkeit hineinkommen. Wir haben gerade im letzten März eine neue Studie dazu veröffentlicht. Wir haben also die Zahlen von 2014 upgedated, haben uns 17 Trends der Künstlichen Intelligenz angeschaut und geschaut, wie die Auswirkungen auf die einzelnen Berufe sind: Wo wird ein Beruf ersetzt, teilweise ersetzt et cetera.? Wie sieht dann das Wachstum aus, auch wieder mit der demografischen Pyramide im Hintergrund und wo haben wir Überhänge und Unterdeckung? Und wir sehen in 2030 trotz Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz – wir haben die Analyse jetzt nur für Deutschland, USA und Australien gemacht – einen Personalmangel. Bricht man diesen Personalmangel auf einzelne Jobs herunter, dann sehen wir größere Mängel in gewissen Jobfamilien wie IT oder Gesundheit und Pflege und in anderen einfacheren Tätigkeiten auch größere Überhänge. Das heißt, neben einer Personalknappheit haben wir eine riesen Herausforderung bei dem Thema Qualifizierung und Überhängen zu Unterdeckung.

 

Marina Herzmayer:    Das haben Sie auch in Ihrem TED-Talk angesprochen. Es geht gar nicht so um die Personen selbst, sondern wirklich um das Fachpersonal, das uns fehlen wird. Aber in allen – also quer Beet über alle wirtschaftsstarken Länder hinweg. Sie schlagen dann zum Beispiel als eine mögliche Lösung Migration vor. Wenn aber in so vielen Ländern auf der Welt das gleiche Problem herrscht, muss man sich dann nicht vielleicht damit abfinden, dass irgendwann dieser Peak erreicht ist, den diese Babyboomer geschaffen haben, dass wir da quasi wieder nach unten wandern? Ist das wirklich eine langfristige Lösung, die wir hier haben?

 

Rainer Strack:            Das ist eine gute Frage. Das haben wir uns damals auch gefragt als wir uns die Personalbestands- und Personalbedarfskurven angeschaut haben. Aber wenn wir nichts machen würden … was würde dann passieren? Ja dann würden wir nicht die Mitarbeiter haben, die dieses zukünftige Wachstum generieren und dann würde ein Land eben nicht mehr so wachsen und das würde auch letztendlich bedeuten, dass der Wohlstand zurückgehen wird. Das heißt, die Maßnahmen, um diese Lücke zu decken, sind Maßnahmen, um Wohlstand im Unternehmen und im Land zu halten. Wir haben damals gesagt, dass man ein Portfolio von Maßnahmen benötigt. Es geht nicht nur um Migration. Migration ist auch ein Thema; es ist ein wesentliches Thema, um Mitarbeiter in ein Land hineinzubekommen, insbesondere für die höher qualifizierten Bereiche. Wir brauchen aber auch mehr Teilzeit zu Vollzeit, mehr Frauen in Arbeit, wir brauchen ein höheres Rentenalter, auch wenn es unpopulär ist, aber wir werden uns das anders nicht leisten können. Und das sind nur Maßnahmen auf der Personalbestands-Seite. Gleichzeitig brauchen wir auch Maßnahmen auf der Bedarfsseite. Also massive Erhöhung der Produktivität, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Robotics werden da eine ganz, ganz wichtige Rolle spielen. Das heißt, wir glauben nicht, dass es eine Maßnahme sein wird, sondern es wird ein Portfolio sein. Auf der anderen Seite haben wir auch nicht so viel Zeit, bis wir reagieren können, weil die Maßnahmen wirken müssen. Wie gesagt: Wenn wir nichts machen, werden wir nicht das Wachstum haben und werden wir auch nicht diesen Wohlstand halten können, den wir in der Vergangenheit hatten.

 

Marina Herzmayer:    Mhm. Ich würde mir gerne diese Maßnahmen, die Sie angesprochen haben, noch einmal ein bisschen genauer ansehen. Zum Beispiel haben Sie gesagt, Menschen wieder aus der Pension zurückholen oder 65+, also quasi länger arbeiten. Wir haben ja immer kürzere Zeiten oder frühere Pensionszeiten. Wie realistisch ist es, dass das funktioniert? Und vor allem ist das dann wirklich in einem Ausmaß, dass wir länger Vollzeit arbeiten, oder geht es da wirklich einfach nur um zusätzliche Unterstützung?

 

Rainer Strack:            Also wie realistisch das ist, muss man aus der politischen Seite sehen, weil es natürlich viele unpopuläre Maßnahmen sind. Und unpopuläre Maßnahmen … werde ich die eigentlich in den Griff bekommen? Ich muss sagen, das demografische Problem, das konnte ich schon vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren vorhersagen. Denn als der Babyboom zurückgegangen ist wusste man, dass man in einigen Jahren in dieses Thema hineinlaufen wird. Trotzdem hat man politisch relativ wenig getan. Jetzt in den nächsten Jahren wird es aber ganz akut, weil dann der Peak der Babyboomer in Rente gehen wird, so wie ich. Und deswegen muss gehandelt werden. Das politisch umzusetzen ist natürlich eine Herkules-Aufgabe. Wir glauben auch, dass es letztendlich langfristig schon Möglichkeiten gibt. Also wenn man sich Migration zum Beispiel ansieht – wir haben gerade eine Studie gemacht wo wir 200.000 Jobsuchende weltweit gefragt haben: Wo möchten Sie arbeiten? Wie möchten Sie arbeiten? Mehr als 50 % konnten sich vorstellen eben auch in ein anderes Land zu migrieren, um in diesem Land zu arbeiten. Das heißt da gibt es schon auch die Möglichkeit Talente von außen in ein Land zu bekommen. Und wenn man sich einmal langfristig das ganze Jahrhundert ansieht: In welchem Kontinent ist noch Wachstum? In Asien wird kein Wachstum mehr sein an Mitarbeitern, sondern das wird vor allem in Afrika sein, wo Voraussagen sind, dass sich das noch um mehrere Milliarden erhöhen könnte im nächsten Jahr. Das heißt, wir glauben schon, dass Migration über die nächsten zehn Jahre hinaus ein wichtiges Thema sein wird. Erwerbsquote … Renten heißt auch nicht immer Vollzeit danach noch, sondern dass ich auch nach Möglichkeit Teilzeit arbeite. Ich glaube sowieso, dass das Thema Flexibilität auch durch Corona viel, viel wichtiger geworden ist. Selbst wenn ich nach 65 noch arbeite, vielleicht 10 %, 20 % oder 30 % arbeite, damit ich diese Personalknappheit decke, aber vielleicht auch als Zusatzverdienst zu meinem Rententhema, was ich dann bekomme.

 

Marina Herzmayer:    Des Weiteren haben Sie auch angesprochen, die Arbeitsquote oder Erwerbstätigkeitsquote von Frauen zu erhöhen. Da ist glaube ich auch ein ganz großes Thema, dass viele Frauen als erwerbstätig gelten, aber Teilzeit arbeiten. Jetzt steht das natürlich irgendwie im ersten Gedanken ein bisschen im Gegensatz dazu, dass wir mehr Kinder und mehr Menschen auf dieser Welt bräuchten und wir wollen aber, dass Frauen mehr arbeiten gehen. Wie ist das zu realisieren?

 

Rainer Strack:            Das ist natürlich eine große Herausforderung; welche Möglichkeiten ich da auf der Kinderbetreuungsebene schaffe, welche anderen Möglichkeiten ich da schaffe. Da sind wir in den Studien auch nicht weiter darauf eingegangen, aber das ganze Diversity Thema glauben wir, ist ein großer Hebel nach oben, um das Personalknappheitsthema noch hinzubekommen. Gleichzeitig glaube ich schon auch, dass das Thema Geburten ein wesentliches Thema sein wird; nur nicht in den nächsten 15 Jahren, weil ein Kind, das heute geboren wird, frühestens in 15 Jahren in den Arbeitsmarkt hineingeht. Das heißt die Probleme in den nächsten 10 bis 15 Jahren werden wir dadurch nicht lösen. Darüber hinaus würde es aber letztendlich einen wichtiger Beitrag geben.

 

Marina Herzmayer:    Eine Frage hätte ich dazu jetzt noch: Glauben Sie, ist das Pensions- oder Rentensystem wie wir es aktuell haben, zum Sterben verurteilt? Viele machen sich jetzt schon Sorgen, ob sie noch eine Pension bekommen werden oder nicht. Funktioniert das dann trotzdem immer noch? Kann man das auch schon jetzt abschätzen?

 

Rainer Strack:            Das ist natürlich auch ein bisschen ein politisches Thema, muss man sagen. In Deutschland ist das 1890 von Bismarck eingeführt worden, damals mit einem Rentenalter von 70 Jahren. Damals war die Lebenserwartung bei weitem nicht so hoch. Das heißt das Thema Lebenserwartung und Rentenalter muss irgendwo korreliert sein, weil ich sonst mir das als Land einfach nicht leisten kann, das zu bezahlen. Auf der anderen Seite brauche ich auch diese Personen und habe im Sinne von sinnvoller Arbeit auch Möglichkeiten, sinnstiftend für den einen oder anderen Rentner zu wirken. Von da aus gibt es, glauben wir, schon eine Möglichkeit für eine win-win-Situation auf beiden Seiten.

 

Marina Herzmayer:    Vielen herzlichen Dank! Das war unser erster Teil. Es gibt noch eine Fortsetzung mit Ihnen in zwei Wochen. Da freue ich mich ganz besonders darauf. Ich sage schon einmal Danke und wünsche Ihnen einstweilen noch einen schönen Tag.

                                   Rainer Strack – vielen Dank!

 

Rainer Strack:            Herzlichen Dank!

 

[Intro-Musik]

 

Marina Herzmayer:    Herzlichen Dank auch an alle Zuhörerinnen und Zuhörer. Wenn euch der Podcast gefallen hat bewertet ihn bitte auf Apple Podcast und wenn ihr der Meinung seid, diese Folgen sollten mehr Menschen zu hören bekommen, dann empfehlt unser Format gerne weiter.

 

[Musik klingt aus]