In dieser Episode ist eine Bildungswissenschaftlerin und Sozialpädagogin zu Gast: Victoria Mixa ist 36 Jahre alt und Projektleiterin bei ABZ Austria. Mit ihrer Arbeit setzt sie sich gegen die familiäre Vererbung von Bildungsabschlüssen ein und bestärkt junge Frauen darin, die berufliche Gleichberechtigung zur Realität werden zu lassen. Durch das Gespräch führt Marina Herzmayer. Dieser Podcast wird präsentiert vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft.
In dieser Episode ist eine Bildungswissenschaftlerin und Sozialpädagogin zu Gast: Victoria Mixa ist 36 Jahre alt und Projektleiterin bei ABZ Austria. Mit ihrer Arbeit setzt sie sich gegen die familiäre Vererbung von Bildungsabschlüssen ein und bestärkt junge Frauen darin, die berufliche Gleichberechtigung zur Realität werden zu lassen. Durch das Gespräch führt Marina Herzmayer.
Dieser Podcast wird präsentiert vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft.
[Intro-Musik]
Marina Herzmayer: Heute darf ich mit einer Bildungswissenschaftlerin und Sozialpädagogin sprechen. Victoria Mixa ist 36 Jahre alt und Projektleiterin bei ABZ Austria. Mit ihrer Arbeit setzt sie sich gegen die familiäre Vererbung von Bildungsabschlüssen ein und bestärkt junge Frauen darin, die berufliche Gleichberechtigung zur Realität werden zu lassen.
Mein Name ist Marina Herzmayer und ich führe heute durch dieses Gespräch.
[Musik]
Marina Herzmayer: Herzlich Willkommen Victoria Mixa. Schön, dass du uns eingeladen hast, zu dir heute her zu kommen.
Victoria Mixa: Vielen Dank, dass ihr gekommen seid. Ich freue mich.
Marina Herzmayer: Wir sind heute hier im ABZ Austria in Simmering, in Wien. Arbeit, Bildung und Zukunft, dafür steht das und du bist Projektleiterin hier. Aber ganz so lange bist du noch gar nicht in dieser Position aber umso länger in der Firma, oder?
Victoria Mixa: Genau. Also ich bin seit zehn Jahren in der Firma und jetzt seit einem Jahr in der Projektleitung tätig.
Marina Herzmayer: Gehen wir einmal vielleicht ein paar Jahre zurück. Du hast gesagt seit 2012, also zehn Jahre, bist du jetzt schon bei ABZ. Wie hat denn dein Weg hierher ausgesehen? Wolltest du eigentlich immer schon im sozialen Bereich arbeiten?
Victoria Mixa: Also die Idee gab es schon lange in mir. Also für mich war nach der Matura ganz klar: Ich möchte im sozialen Bereich arbeiten; ich möchte mit Menschen arbeiten. Aber als junge Frau war die erste Idee, ich studiere Medizin und habe das auch angefangen und bin im Laufe des Studiums dann draufgekommen, dass das nicht die Art und Weise ist, wie ich mit Menschen arbeiten möchte. Ich habe das Studium abgebrochen und ein Praktikum in der Behindertenpädagogik gemacht und bin so zum Studium Bildungswissenschaften gekommen. Und im Rahmen des Studiums dann bin ich draufgekommen, dass ich gerne mit erwachsenen Menschen arbeiten möchte und bin so in die Erwachsenenbildung geraten.
Marina Herzmayer: Zehn Jahre bist du jetzt hier bei ABZ. Das ist schon eine sehr gute Zahl heutzutage, dass man da nicht mehr gewechselt hat. Offensichtlich gefällt es dir hier. Was trägt denn dazu bei? Was sind denn die Faktoren, wo du sagst: „Ich fühle mich hier wohl in der Arbeit.“?
Victoria Mixa: Das hat viele Faktoren. Ich habe ja als normale Mitarbeiterin angefangen, als Sozialpädagogin, mit sehr wenigen Stunden. Ich habe das neben meinem Masterstudium angefangen mit 16 Wochenstunden und konnte mich dann aber sehr viel weiterentwickeln. Das ist halt das tolle an der Projektarbeit, dass es viele verschiedene Projekte gibt. Einmal arbeitet man mit erwachsenen Frauen, einmal wieder mit Jugendlichen. Und das ist einfach diese Flexibilität, die mir ganz wichtig ist in der Arbeit.
Marina Herzmayer: Und Flexibilität wird vermutlich gerade bei der Projektarbeit von beiden Seiten verlangt werden, oder?
Victoria Mixa: Genau. Also ein Projekt läuft über einen gewissen Zeitraum. Und man muss sich einlesen und man muss sich einarbeiten in dieses Projekt, sowohl als Mitarbeiterin als auch als Projektleiterin. Dann kommt ein neues Projekt. Vielleicht kommt manchmal auch gar kein neues Projekt und dann wechselt man wieder eine Position; man wechselt manchmal die Firma. Also diese Flexibilität auszuhalten ist natürlich auch ein Teil der Projektarbeit.
Marina Herzmayer: Bei dir haben sich auch einige Positionen verändert. Du bist jetzt Projektleiterin, also in einer Führungsposition angekommen. Was hat dich dahin gebracht? War es ganz klassisch Fleiß und Geduld oder vielleicht bei dir etwas ganz anderes? Wie war dein Weg da her?
Victoria Mixa: Mein Weg war, meine eigene Entscheidung zu sagen: „Ich möchte etwas anderes machen. Ich möchte mehr machen. Ich möchte eine neue Position in dem Unternehmen haben.“ Und habe mich dann initiativ innerhalb von meinem Unternehmen beworben. Was natürlich auch dazu beiträgt, dass ich dann diese Position bekommen habe, ist auch Fleiß und Geduld und immer wieder aufzeigen im Unternehmen, sich engagieren.
Marina Herzmayer: Und was würdest du jetzt sagen? Du hast dich extra dafür beworben, du wolltest Projektleiterin werden. Ist der Job jetzt so, wie du ihn dir vorgestellt hast? Oder bist du mit ganz anderen Sachen konfrontiert, von denen du vorher gar nichts wusstest?
Victoria Mixa: Beides. Also natürlich habe ich ein Bild davon gehabt, wie es ist Projektleiterin zu sein. Also ich kenne ja meine eigene Projektleiterin, meine eigene Chefin, auch sehr gut. Aber es waren natürlich noch viel mehr Aufgaben, die damit verbunden waren, als ich mir das eigentlich vorgestellt habe. Es waren sehr viel … Sehr viel Zeit braucht es für die Kommunikation auf allen Ebenen. Also sowohl nach unten als auch nach oben, als auch natürlich in die Breite, die Kommunikation. Es braucht sehr viel Organisation. Man braucht sehr viel Zeit, um sich selber gut zu strukturieren. Es braucht sehr viel Organisation mit den Mitarbeiterinnen in der Abstimmung zu bleiben. Es kamen auch Tätigkeiten auf mich zu, mit denen ich gar nicht so gerechnet habe, die einfach unsichtbar sind, wenn man als Mitarbeiterin in einem Projekt arbeitet, wie eine Abrechnung, Quartalsberichte und solche Dinge.
Marina Herzmayer: Und nach einem Jahr, das du jetzt hinter dir hast, was würdest du sagen, sind so die Vor- und Nachteile, die diese Position und dieser Job auch mitbringt für dich?
Victoria Mixa: Für mich der große Vorteil ist die Flexibilität; die zeitliche Flexibilität, die ich jetzt habe. Immer wenn ich im Kundinnenkontakt bin als Mitarbeiterin in einem Projekt, wenn ich in einen Workshop stehe, wenn ich in der Beratung bin, bin ich immer gebunden an die Zeiten meiner Kundinnen und Kunden. Als Projektleiterin kann ich mir meine Zeit viel freier einteilen. Das ist für mich als Mutter von zwei Kindern ein großer Vorteil. Ein zweiter großer Vorteil, den man nicht unterschätzen darf, ist natürlich ein besseres Gehalt als Führungskraft. Das macht auch viel aus. Und auch was für mich ein großer Vorteil ist, ist es, die Gestaltungsmöglichkeiten, die ich habe; sowohl inhaltlich als auch in der Mitarbeiterinnen-Führung, in der Mitarbeiterinnen-Entwicklung.
Marina Herzmayer: Was jetzt für mich aber doch ein Punkt ist … Du hast auch vorher kurz erwähnt, es gibt auch Zeiten, wo es vielleicht kein Projekt mehr gibt. Gerade wenn man in so einer Position ist, da ist nicht nur Flexibilität, sondern auch ein – ich höre einen gewissen Unsicherheitsfaktor heraus. Hast du für dich immer einen Plan B parat oder wie gehst du in diese Sache hinein?
Victoria Mixa: Ja, ich habe immer einen Plan B. Das hat vielleicht auch mit meiner Persönlichkeit zu tun. Aber für mich ist es ganz wichtig einen Plan B zu haben; auch jetzt als Mutter vor allem sehr wichtig. Weil ich einfach nicht die Entscheidungen über einen Job nur für mich alleine entscheide, sondern das natürlich auch immer mit meinen Kindern und meinem Partner zusammenhängt. Ich kann das natürlich aus einer sehr privilegierten Position heraus sagen, weil ich eine gute Ausbildung habe, mit der ich unterschiedliche Möglichkeiten habe, einen Plan B zu entwickeln. Wenn ich keine gute Ausbildung habe, ist es natürlich viel schwieriger einen Plan B zu haben. Mein Plan B wäre es zum Beispiel in Bildungskarenz zu gehen und meinen Masterabschluss zu beenden.
Marina Herzmayer: Mhm. Du hast kurz aufhören müssen wegen deiner Kinder beziehungsweise es halt nicht fertigmachen können. Wie man sich das immer so vorstellt, funktioniert das dann leider nicht so. Aber es ist noch in deinem Kopf, dass du das noch fertigmachen möchtest?
Victoria Mixa: Genau. Also ich habe hochschwanger, mit einem ganz dicken Bauch, meine ganzen Sachen auf der Uni beendet und mir das dann so vorgestellt: Wenn ich in Mutterschutz bin, wenn ich in Karenz bin, dann habe ich genug Zeit, das Baby wird ganz viel schlafen, ich habe genug Zeit mich hinzusetzen, meine Sachen zu transkribieren, zu recherchieren, zu schreiben. Und im Endeffekt war es dann natürlich nicht so, wie man sich das vorstellt, wenn man noch keine Kinder hat. Und danach bin ich nach einem Jahr wieder in den Job eingestiegen und mit 30 Stunden und Kleinkind, nachher ein zweites Kleinkind, war für mich bis jetzt einfach keine Möglichkeit das zu beenden. Und das wäre mein Plan B.
Marina Herzmayer: Du hast es schon angesprochen, du hast deshalb viele Plan B-Möglichkeiten, B, C und D vielleicht, weil du eine fundierte Ausbildung hast. Wäre dieser Masterabschluss dann noch einmal ein weiterer Schritt, wo du sagst, das ermöglicht dir noch mehr?
Victoria Mixa: Unterschiedlich. Also ich denke bei mir in meiner jetzigen Position in meiner jetzigen Firma ist es nicht unbedingt notwendig diesen Masterabschluss zu haben. Für meine persönliche Weiterentwicklung natürlich schon. Auch, weil ich schon viel Zeit investiert habe in dieses Studium und diese Zeit für mich einfach nicht verloren sein soll.
Marina Herzmayer: Verloren ist sie ohnedies nicht, weil man sich selbst so viel weiterentwickelt, aber, dass man halt das Zeugnis auch noch hat … ja. Du hast es schon angesprochen, was ich auch sehr schön finde, du bist selbst aktiv geworden. Du bist in deiner Firma hergegangen und hast gesagt: „Mir reicht das nicht mehr, ich möchte mich auch hier weiterentwickeln.“ Diese Eigeninitiative … braucht es da besonders viel Mut oder besonders viel Selbstvertrauen dazu? Oder hat das jeder, der das Gefühl so hat, ok, ich möchte noch mehr, diese Chancen in jeder Firma das zu machen?
Victoria Mixa: Ja, ich denke schon. Also die Chance kann man immer ergreifen. Meiner Erfahrung nach sind es aber vor allem Männer, die solche Chancen eher ergreifen als Frauen. Auch das ist ein Grund, warum Männer eher in Führungspositionen sind als Frauen, warum Männer mehr Geld verdienen. Weil sie sich eher zutrauen, das auch einzufordern. Und für mich war es auch ganz wichtig zuerst einmal zu schauen: Wie geht es mir damit. Wie ist mein standing in der Firma auch und wie viel kann ich mir selbst zutrauen und wie viel wird mir auch zugetraut in der Firma? Aber ich denke, dass Frauen sehr viel gewinnen können, wenn sie sich selbst mehr zutrauen und wenn sie diese Chancen ergreifen und es zumindest versuchen.
Marina Herzmayer: Wenn wir noch einmal bei ABZ bleiben. Ich glaube, das ist auch ein sehr positives Beispiel, was die Arbeitsweltentwicklung betrifft. Du hast es gesagt: Ihr seid sehr flexibel, habt auch viel Gleitzeit, glaube ich. Du hast selbst auch in dieser Angestelltenposition diese Eigeninitiative in die Hand genommen oder quasi ergriffen und dich um den neuen Job beworben. Wie wichtig glaubst du, sind so diese Eigeninitiative, die Lockerungen auch in der Arbeit vom Arbeitnehmer vom Unternehmen her dieses Zusammenspiel … das wird alles fast schon ein bisschen in die Selbständigkeit sieht man das … Züge davon. Ist das etwas, wie sich die Zukunft in der Arbeitswelt entwickelt?
Victoria Mixa: Ja sicher. Also mein großer Vorteil bei ABZ Austria ist dieses flexible Gleitzeitmodell. Ich habe keine Kernzeit; ich darf von 06:00 Uhr bis 22:00 Uhr arbeiten und mir meine Zeit frei einteilen, sofern es das Projekt und meine Tätigkeit natürlich zulässt. Also immer in einem gewissen Rahmen natürlich. Ich glaube, dass sich gerade die jungen Leute, die jetzt neu auf den Arbeitsmarkt kommen, weniger an den Gegebenheiten von Firmen orientieren, sondern für sich selber schon sehr klare Vorstellungen von Arbeiten und auch dieser Work-Life-Balance haben. Und ich denke, dass es auch für die Firmen wichtig ist, da in die Initiative zu gehen, jungen Leuten Möglichkeiten zu bieten, die für diese Generation dann auch passend sind.
Marina Herzmayer: Einige dieser jungen Leute hast du betreut; hast du mit deinem Projekt betreut. Das war zuletzt das JuBiTa – also Jugend – Bildung – Talente – Projekt. Das war zur Unterstützung von bildungsbenachteiligten Jugendlichen. Aus welcher gesellschaftlichen Notwendigkeit ist dieses Projekt heraus entstanden?
Victoria Mixa: Die gesellschaftliche Notwendigkeit ist daraus entstanden, dass Bildung in Österreich sehr stark vererbt wird. Das heißt, den Bildungsstand, den die Eltern haben, den erreichen maximal auch meistens die jungen Leute. Das heißt, wenn die Eltern einen Lehrabschluss haben, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die jungen Leute, die Kinder, ebenfalls maximal einen Lehrabschluss erreichen. Kinder von Akademikern und Akademikerinnen haben eine größere Chance, selbst einen Universitätsabschluss zu erreichen. Das heißt, Bildungsabschlüsse werden vererbt sowohl im Hinblick auf den Job, den die Eltern haben, aber auch auf das soziale Umfeld, in dem sich die Jugendlichen bewegen. Die zweite Notwendigkeit war einfach auch die Flüchtlingskrise 2015, wo viele junge Leute nach Österreich gekommen sind, die in ihrem Ursprungsland nicht die Möglichkeit hatten, einen Bildungsabschluss zu erlangen. Und der Arbeitsmarkt sieht schon vor, dass junge Leute gute Ausbildungen haben, weil die Wahrscheinlichkeit arbeitslos zu werden viel geringer ist, wenn man eine Ausbildung hat.
Marina Herzmayer: Welche Rolle hat da ABZ eingenommen? Was waren da die Inhalte eurer Unterstützung?
Victoria Mixa: Es war ein Netzwerkprojekt, wo vier Organisationen miteinander gearbeitet haben an diesem Projekt. Das ABZ Austria hatte zur Aufgabe, ein kompetenzorientiertes Aufnahmeverfahren zu entwickeln. Zu schauen, wo stehen die Jugendlichen, was bringen sie mit an Interessen, was bringen sie mit an Kompetenzen. Und wie können wir gemeinsam mit diesen Jugendlichen dieses Projekt entwickeln. Das zweite große Thema, das wir gehalten haben, war die Bildungs- und Berufsberatung. Die hat kursbegleitend stattgefunden. Zur Ausbildung des Pflichtschulabschlusses haben die Jugendlichen von Anfang bis Ende die Möglichkeit gehabt, mit einer Beraterin an ihren beruflichen Zukunftsvisionen zu arbeiten. Und es gab einen innovativen Talente-Check, wo die Jugendlichen die Möglichkeit hatten auszuwählen, in welches Berufsfeld sie gerne gehen möchten in Zukunft. Und daran angepasst hat es dann einen Übergangslehrgang gegeben, nach dem Pflichtschulabschluss, bevor sie in die höhere Schule, in die Lehre oder in den Beruf wechseln.
Marina Herzmayer: Wie viele Jugendliche habt ihr damit ungefähr erreichen können?
Victoria Mixa: Wir haben im Pflichtschulabschluss ein bisschen mehr als 70 Jugendliche gehabt und in den Übergangslehrgängen insgesamt 80 Jugendliche, die die Möglichkeit hatten, in diesen zwei Lehrgängen sich auf die weitere Zukunft vorzubereiten.
Marina Herzmayer: Ich stelle mir das jetzt ziemlich spannend vor. Für uns ist es quasi logisch: Je mehr Ausbildung, desto leichter ist der Lebensweg; oder in der Berufswelt zumindest. Wie macht man das? Also das Ziel war der Pflichtschulabschluss, um weitere Ausbildungen angehen zu können … was sehr, sehr wichtig und bedeutend ist. Wie läuft da die Kommunikation ab mit Jugendlichen, die vielleicht aus schwierigeren Verhältnissen kommen? Die vielleicht noch nicht die perfekten Sprachkenntnisse und so mitbringen? Wie kommuniziert man mit ihnen, dass man ihnen diese Bedeutung auch klar macht?
Victoria Mixa: Für uns war es ganz wichtig, dass es ein jugendgerechtes Projekt ist. Das heißt, dass die Jugendlichen die Möglichkeit haben, die Inhalte mitzubestimmen. Das heißt, dass sie die Möglichkeit haben in den vorgegebenen Fächern, die es nun einmal gibt aufgrund des Schulabschlusses, die Inhalte insofern mitzubestimmen, dass sie an ihren Interessen orientiert sind. Ganz wichtig war dabei auch, die Jugendlichen zu unterstützen bei den Schwierigkeiten, die sie außerhalb dieses Kurses haben: schwierige Wohnverhältnisse, wenig Platz um ihre Arbeiten zuhause zu erledigen – das war natürlich während der Corona-Krise noch einmal ein größeres Thema, als es davor schon war. Die Jugendlichen auch dabei zu unterstützen, mit allen ihren Problemen Ansprechpersonen haben zu können. Auch das hilft ihnen, diese Anstrengung – und es war natürlich sehr anstrengend für die Jugendlichen, wieder ins Lernen hineinzukommen. Die Jugendlichen wurden unterstützt dabei, Lernstrategien zu entwickeln; ihre eigenen Lernorte, ihre eigenen Lernqualifikationen zu reflektieren und immer wieder neu zu ordnen.
Marina Herzmayer: Das klingt nach einem sehr individuellen Programm; sehr persönlich. War das auch so, dass man wirklich sagt, man hat eine Ansprechperson, so einen Kummerkasten, bei dem man sich wirklich melden kann?
Victoria Mixa: Genau. Also die Jugendlichen hatten eine Ansprechperson in der Bildungs- und Berufsberatung und eine Ansprechperson in der Sozialberatung. Und zu diesen Beraterinnen konnten sie außerhalb der Kurszeiten immer kommen; die waren telefonisch erreichbar und hatten die Möglichkeit, die Dinge, die sie gerade beschäftigen, mit ihnen zu besprechen.
Marina Herzmayer: Ist vermutlich auch ein Vorteil für Jugendliche auch mit Erwachsenen oder jungen Erwachsenen zusammenzuarbeiten, weil sie dann sehen, bei euch funktioniert das. Also vielleicht funktioniert das auch bei ihnen selbst, oder?
Victoria Mixa: Genau. Und uns war auch wichtig, den Jugendlichen aus der Peergroup zu zeigen, was es für Möglichkeiten gibt. Wir hatten Jugendliche eingeladen, die aktuell schon in der HTL in der Schule sind und die vorgestellt haben. Wie funktioniert das da? Was gibt es für Ansprüche? Was muss ich alles können? Und gerade für die jungen Frauen ist es auch ganz wichtig zu sehen, es gibt schon andere junge Frauen, die in diesem Bereich, in der Informatik, tätig sind.
Marina Herzmayer: Hast du aus diesen 150 Jugendlichen, von denen du gesprochen hast, vielleicht so ein best practice Beispiel? Ich stelle mir vor, gerade in Corona-Zeiten, da sind vier, fünf Familienmitglieder zuhause, einen Computer gibt es, Probleme gibt es … Was war so eine schöne Geschichte oder eine sehr positive Geschichte, die daraus entstanden ist? Kannst du da eine erzählen?
Victoria Mixa: Ja. Also wir hatten eine Teilnehmerin aus Afghanistan. Sie hatte wenig Möglichkeiten in ihrem Heimatland in die Schule zu gehen, kam dann nach Österreich. Natürlich, hier in Österreich ohne ausreichende Deutschkenntnisse sitzen die Jugendlichen oft dann natürlich in der Schule, weil es besteht die Schulpflicht auch für sie; haben Probleme, sich hier einzufinden; die Sprache ist natürlich eine Schwierigkeit. Und diese Jugendlichen machen nicht ihren Pflichtschulabschluss. Sie haben die Pflichtschule zwar beendet nach den neun Jahren, die alle Schülerinnen und Schüler in Österreich in die Schule gehen müssen, haben aber kein Pflichtschulabschluss-Zeugnis. Und dann kommen die Jugendlichen zu uns in den Kurs und haben hier die Möglichkeit mit viel mehr Unterstützung diese Sachen anzugehen. Und diese junge Frau hat ihren Pflichtschulabschluss erfolgreich geschafft, war dann bei uns auch im Übergangslehrgang und hat sich dann für eine Ausbildung in der Medizin-Informatik in der HTL entschieden und möchte gleichzeitig in der Abendschule auch noch weiterlernen.
Marina Herzmayer: Schöne Geschichte. Hast du da jetzt noch Kontakt? Weißt du, wie es da weitergegangen ist mit dieser jungen Dame?
Victoria Mixa: Es gab Nachfolgeprojekte. Also es gibt ein Projekt, das heißt Mutfluencer*innen, und dort haben die Jugendlichen eigene Projekte entwickelt, um wieder andere Jugendliche zu erreichen und haben Ausstellungen gemacht und so. Also da besteht auch noch Kontakt, ja.
Marina Herzmayer: Mhm. Das ist wie diese schöne Kette … wenn man etwas weitergibt, fruchtet das noch. Schön!
Victoria Mixa: Genau.
Marina Herzmayer: Ihr habt ja auch im Projekt einen Schwerpunkt auf Mädchen und junge Frauen gelegt. Warum ist das gerade so wichtig? Warum braucht man für Mädchen eher noch einen Schwerpunkt?
Victoria Mixa: Das ist unsere große Expertise bei ABZ Austria, diesen Schwerpunkt in Projekte, in Netzwerkprojekte auch einzubringen. Frauen sind immer noch nicht am Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft gleichgestellt. Frauen verdienen immer noch weniger als die Männer verdienen. Und Frauen entscheiden sich auch heute noch für die klassischen Frauenberufe. Gerade im Lehrabschluss ist das: Bürokauffrau, ist das Einzelhandelskauffrau, ist es Friseurin. Diese Jobs sind weit schlechter bezahlt als technische Arbeiten und technische Lehrberufe und daher ist es auch wichtig den Frauen klarzumachen und ihnen Mut zu machen, andere Berufswegen einzuschlagen.
Marina Herzmayer: Und diese Fokussierung … wie setzt ihr das um? Dass ihr dann wirklich sagt: Ich kann dich da unterstützen. Ich kann dich da weiterbringen als Frau. Was macht ihr konkret?
Victoria Mixa: Genau. Wir haben an den Kompetenzen der Frauen gearbeitet. Wir haben uns angeschaut: Was können sie eigentlich? Was bringen sie mit, von sich aus, aus ihrer Vorerfahrung, aus ihren Familien? Viele jungen Frauen müssen ja ganz viel in ihren Familien schon mithelfen; in der Haushaltsorganisation, in der Betreuung von kleineren Geschwistern. Und da ist es ganz wichtig, auf die Kompetenzen zu schauen. Was bringen sie mit? Was können sie? Und anhand dieser Kompetenzen ihnen Mut zu machen, sich etwas zuzutrauen. Und ihnen klarzumachen, sie können das genauso gut wie ihre männlichen Kurskollegen. Und ihnen da einfach die Stärke und das Zutrauen zu sich selber zu vermitteln, dass sie das können.
Marina Herzmayer: Also es lauft viel über Kommunikation einfach?
Victoria Mixa: Genau. Und ich glaube, dass es ganz vielen Frauen schon bewusst ist, dass sie die Sachen können, ihnen aber nicht bewusst ist, dass diese Dinge sehr wichtig sind, die sie können. Dass das einen Stellenwert hat, auch am Arbeitsmarkt, das was sie privat eigentlich schon ganz lange teilweise umsetzen.
Marina Herzmayer: Diese Stärkung von Frauen, die liegt dir ja schon länger am Herzen. Da hat es auch ein Projekt gegeben … FIT – Frauen in der Technik. Wie würdest du sagen, hat sich die Entwicklung über die letzten Jahren so gezeigt? Geht es in eine gute Richtung? Wird es besser oder brauchen wir da noch viele Generationen, bis Frauen diese Stärke, die sie haben, anerkennen?
Victoria Mixa: Ich glaube es ist beides. Ich glaube es ist schon einiges passiert. Also auch wenn ich es jetzt vergleiche mit der Generation meiner Eltern, glaube ich, dass viel passiert ist. Aber dennoch ist es noch ein ganz weiter Weg und ich glaube, dass auch jetzt das ABZ Austria seit 30 Jahren daran arbeitet, an der Gleichstellung am Arbeitsmarkt. Und wir sehen in unserer täglichen Arbeit, dass es zwar in der Theorie, in den Kollektivverträgen zum Beispiel, schon sehr weit ist, aber es immer noch Unterstützung braucht für die Frauen.
Marina Herzmayer: Du bist ja auch selbst zweifache Mama. Ich glaube auch das ist eine Gruppe von Frauen … Wenn die länger in Karenz sind oder längere Jahre zuhause sind in der Kinderbetreuung, kommt ja auch oft diese Angst von: „Ich kann ja nichts mehr. Ich bin schon zu weit weg vom Berufsleben. Ich habe in den letzten Jahren nichts gemacht.“. Was stellst du dem entgegen?
Victoria Mixa: Gerade ich als Projektleiterin … Wie ich angefangen habe, habe ich gemerkt, dass es ganz viele Parallelen gibt, zum Muttersein. Ständige Kommunikation mit den Mitarbeiterinnen – zuhause mit den Kindern ständig in Kommunikation. Es ist sehr viel Organisation notwendig; Struktur notwendig. Also zuhause organisiere ich Arztbesuche, Kindergeburtstage, aber auch einen Elternsprechtag in der Schule muss ich wahrnehmen und muss ich mir terminlich einrichten. Und genau das gleiche habe ich natürlich in der Arbeit als Projektleiterin auch.
Marina Herzmayer: Das heißt, Projektleiterin ist eigentlich ein perfekter Job für Super-Mamas.
Victoria Mixa: Ja. Ich denke es kommt auch auf das Unternehmen an, in dem man arbeitet. Aber es ist natürlich eine praktische Arbeit, weil es natürlich von den Arbeitszeiten her gut funktioniert, von der Zeiteinteilung gut funktioniert. Und die Kompetenzen, die man braucht, auch gut vereinbar sind damit, ja.
Marina Herzmayer: Du hast es ja schon angesprochen: Nach einem Jahr in Karenz bist du wieder zurückgegangen in die Arbeit, mit 30 Stunden dann. Was waren so deine Überlegungen dazu? War das für dich von Anfang an klar oder warum war deine Entscheidung so, dass du wieder zurückgekommen bist, nach einem Jahr?
Victoria Mixa: Ganz wichtig für mich waren Rollenvorbilder. Also ich habe einige Personen in meinem Leben kennengelernt, die länger und kürzer in Karenz waren. Ich habe da für mich auch ein bisschen ausloten können, was könnte für mich das Ideale sein. Aber natürlich war es auch eine finanzielle Entscheidung. Mein Partner war in der Zeit in Bildungskarenz und dann ist es auch eine finanzielle Entscheidung: Wie lange kann ich überhaupt in Karenz gehen? Noch dazu mache ich meinen Job sehr gerne und habe mir das auch gar nicht vorstellen können, jetzt länger zuhause zu bleiben.
Marina Herzmayer: Wie du gerade gesagt hast, mit deinem Partner war das ja auch ein Thema. Nicht nur Gleichberechtigung, sondern auch Gleichstellung, gleiche Zeiteinteilung ist dir sehr wichtig. Wie macht ihr das in der Praxis?
Victoria Mixa: Es ist ein ständiges Ausloten. Also es ist keine Selbstverständlichkeit. Auch wenn für uns von Anfang an für uns beide klar war, dass wir beide arbeiten möchten und beide Zeit mit den Kindern verbringen möchten, ist es doch ein ständiges daran arbeiten, ein ständiges einteilen. Für uns war klar, wir möchten beide 30 Stunden arbeiten. Das funktioniert für uns mit Kinderbetreuung sehr gut, auch mit den Positionen, die wir in einer Firma haben wollen. Die Schwierigkeit war eher, mein Mann im technischen Bereich, er hat weniger die Möglichkeiten gehabt, seine Arbeitszeit zu reduzieren, als ich in meiner Arbeit.
Marina Herzmayer: War das eher ein Problem von der Firma her oder inhaltlich nicht möglich?
Victoria Mixa: Es war ein Problem von der Firma her. Also er hat 38 Stunden gearbeitet und wir wollten das Modell 30:30 bei uns in der Familie umsetzen. Und die Firma hat gesagt, dass das leider nicht möglich ist. Nach langem Diskutieren, nach langem Kommunizieren mit der Firma hat er jetzt 34 Stunden und ich habe 30 Stunden. Und auch das bekommen wir so ganz gut hin, ja.
Marina Herzmayer: Würdest du sagen, es hat deshalb nicht funktioniert oder es ist nicht möglich gewesen von der Firma, weil er ein Mann ist?
Victoria Mixa: Das würde ich nicht unbedingt sagen. Ich würde eher sagen, weil er in einem männlich dominierten Bereich arbeitet, in dem es nicht selbstverständlich ist, dass die Mitarbeiter weniger arbeiten möchten von sich aus aufgrund der Kinderbetreuung. Es ist in dem Bereich sehr etabliert zu sagen: Ja, ich mache eine Ausbildung, ich mache ein Studium und reduziere deswegen meine Arbeitszeit. Für die Kinderbetreuung aber zu reduzieren ist in vielen Bereichen für Männer noch etwas ganz Neues.
Marina Herzmayer: Jetzt bist du Projektleiterin. Du bist zweifache Mutter. Du bist wahrscheinlich auch noch ein bisschen private Victoria … das soll ja überbleiben. Was ist dir so in deinen einzelnen Rollen als Frau wichtig?
Victoria Mixa: Für mich war es vor allem am Anfang und jetzt auch noch ganz wichtig, mir Zeit für mich zu nehmen. Das war ganz schwierig mit zwei Kleinkindern. Also wie ich wieder eingestiegen bin in den Job hatte ich ein einjähriges Kind und ein dreijähriges Kind. Das war eine große Herausforderung und das hat mich viel Kraft und viel Zeit gekostet, auch für mich zu erkennen, dass ich irgendwann auf der Strecke bleibe zwischen Arbeit, Kindern, Haushalt und allem drum und dran. Und ich habe für mich erkannt, dass es ganz wichtig ist, Zeit alleine zu verbringen und Dinge zu tun, die ich weder für meine Familie noch für meinen Job mache. Und ich mache relativ viel Sport. Also das ist mein Ausgleich. Das mache ich nur für mich. Das mache ich ganz alleine und das ist für mich einfach ganz wichtig.
Marina Herzmayer: Du bist ja bei ABZ jetzt seit zehn Jahren und gerade wieder mehr als Projektentwicklerin und Projektleiterin tätig. Was wären so deine Wünsche, wenn du es dir aussuchen könntest, für die nächsten Projekte? Wo glaubst du, ist gerade am meisten Handlungsbedarf?
Victoria Mixa: Ich sehe einen großen Handlungsbedarf beim Thema Pflege. Weil gerade viele Frauen Angehörige pflegen, sowie viele Frauen ihre Kinder betreuen. Manche Frauen machen beides. Also ich glaube da braucht es viel Unterstützung. Es braucht Jobs in der Pflege, die leistbar sind. Also das Frauen davon leben können, in der Pflege zu arbeiten. Ich glaube es braucht Männer in der Pflege. Also auch da unterstützen wir mit Projekten, dass auch Männer sich zutrauen in typisch weiblichen Jobs zu arbeiten. Und das zweite große Feld, das ich sehe, sind die Green-Jobs. Also alles was mit Nachhaltigkeit und mit Umwelt zu tun hat. Ein großer Teil der Jobs sind technische Jobs; die klassischen Jobs, die die Frauen nicht annehmen würden. Und auch in diese Richtung wieder mehr Frauen zu ermutigen, solche Jobs anzunehmen und solche Ausbildungen anzustreben.
Marina Herzmayer: Vielen herzlichen Dank, Victoria Mixa!
Victoria Mixa: Ich danke auch!
Marina Herzmayer: Herzlichen Dank an alle Zuhörerinnen und Zuhörer. Wenn euch der Podcast gefallen hat, bewertet ihn bitte auf Apple Podcast und wenn ihr der Meinung seid, diese Folgen sollten mehr Menschen zu hören bekommen, dann empfehlt unser Format gerne weiter.
[Musik klingt aus]